Gedankenspiele

Ein Leben mit Vorurteilen

Aus allen Medien schallt es uns entgegen, dass man keine Vorurteile haben darf und dass diese das menschliche Zusammenleben belasten.

Für mich starker Tobak, da ich gestehen muss, recht oft Vorurteile zu haben und das Gefühl habe, mit ihnen gut zu leben.

Was sind denn eigentlich Vorurteile? Ohne mich zunächst näher mit einer Definition befasst zu haben würde ich sagen, dass ich eine Meinung zu einem Thema habe, mit dem ich gerade konfrontiert werde, ohne dieses Problem gründlich abgewogen zu haben.
Aber wie komme ich denn dazu? Lebenserfahrung? Oder habe im Vorfeld mit ähnlichen Thematiken zu tun gehabt und eine praktikable Lösung gefunden oder dazu auf anderem Weg Informationen erhalten?

Die Bundeszentrale für politische Bildung hat dazu ein Statement veröffentlicht:
https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/130413/vorurteile-differenzierung-und-diskriminierung-sozialpsychologische-erklaerungsansaetze/

Hier zeigt sich mal wieder, dass es gut ist sich zunächst um eine gemeinsame Definition eines Sachverhaltes zu bemühen, bevor man sich dazu auslässt. Meine Definition hätte stärker differenziert zwischen einem bloßen Vorurteil und einer daraus möglicherweise folgenden Diskriminierung, also eher wie eine wertfreie Kategorisierung.

Ich muss aber zugestehen, dass es wahrscheinlich schwierig sein wird aus einer negativen Konnotation zu einer positiven zu kommen. Insoweit alles mal wieder schwierig.

 Die Natur hat dem Menschen Sinne gegeben, um seine Umwelt zu erfassen und das Hirn, um diese Eindrücke einzuordnen, zu interpretieren und wiederholt verfügbar zu machen oder, noch besser, fortzuentwickeln. Hätten wir nie auf diese Weise aus Erfahrungen gelernt und die dabei gewonnenen vorteilhaften Verhaltensmuster eingeübt und angewendet, hätte es keinen Fortschritt und keine geistige und praktische Evolution gegeben. Ohne diese erworbenen „Vorurteile“ säßen wir immer noch auf den Bäumen und würden Blätter vertilgen. Wir wären längst von Löwen gefressen worden, weil wir bei der Begegnung immer wieder überlegen müssten, ob wir uns damit einer Gefahr aussetzen.

 Man kann nicht in jeder Lebenssituation alle möglichen Alternativen abwägen, sondern muss sich oftmals auf eine „quick and dirty“ Einschätzung dieser Situation verlassen, also auf sein auf Erfahrung begründetes Urteil, vor einer ausgewogenen Abwägung der besonderen Verhältnisse der aktuellen Situation. Die resultierende Handlungsweise aus dieser „quick and dirty“ Vorgehensweise kann für den Gegenüber um so drastischer ausfallen, je höher die potentielle Gefahrenlage beurteilt wird. Bei harmlosen Begebenheiten kann man sich hingegen Zeit lassen und Alternativbewertungen abwägen, die ggf. auch weniger Schaden verursachen. Wenn die „quick an dirty“ begründete Handlungsweise zu einem Ergebnis geführt hat, ist es natürlich opportun sich über eine bessere Behandlung des Themas Gedanken zu machen.

 Bei der Suche im Netzt findet man schnell Unterstützung für diese Argumentation:
https://www.dasgehirn.info/denken/intuition/unbewusstes-denken-statt-sechsten-sinns

Allerdings verwendet man hier den Begriff „Intuition“ für diese Verhaltensweisen. Demnach ist Intuition eine auf Heuristik basierende Entscheidung, die zu schnellen Reaktionen führt, ohne die Hintergründe aufwendig zu durchleuchten.

Sollte ich den Aufsatz also umbenennen: Ein Leben mit Intuitionen

 Die nächste Stufe wäre für mich übrigens die Automation von gelernten und bewährten Verhaltensweisen.

Wenn man in seiner Umgebung Umstände vorfinde, die stets wiederholende Prozeduren provozieren, werden die Verhaltensmuster schnell automatisiert. So arbeitet nämlich unser Gehirn nach neueren Erkenntnissen.

Zum Beispiel das Abbiegen mit dem Auto. Das sich ständig wiederholende Verhaltensmuster ist: Gas wegnehmen, bremsen, kuppeln, runterschalten, auskuppeln, Bremse loslassen, blinken, Lenkrad drehen, Gas geben, kuppeln, schalten.
Selbst wenn ein geübter Autofahrer versuchen würde, das wohl überlegt Schritt für Schritt so umzusetzen, würde das ganz schnell an die ersten Fahrversuche in der Fahrschule erinnern, als alles ruckelte und zuckelte.

 Intuition oder Vorurteil haben also einen Sinn in der Evolution der Menschen gehabt und haben ihn wohl immer noch. Der Vorteil muss erheblich größer als der Nachteil gewesen sein, sonst hätte der Homo Sapiens dieses Verhaltensmuster nicht so sehr verinnerlicht.
Und nicht nur für die Menschen.
Auch Tiere sind keine biologischen Maschinen, sondern handeln intuitiv. Ein Kombination aus angeborenen Instinkten und erlernten Fähigkeiten. Das scheint auch ihnen einen Überlebensvorteil zu erbringen. Vielleicht können wir von den Tieren wieder einiges abschauen, um verstärkt auf user Bauchgefühl zu hören und mit unserer Umwelt zu verbinden.
https://illusion-wirklichkeit.de/intuition-der-tiere/

 Auch heute funktionieren diese archaischen Verhaltensmuster noch. Werden wir mit Musik, Gerüchen und schönen Bildern eingelullt, wird unser Fluchtreflex ausgeschaltet und wir geben bereitwillig mehr Geld aus. Werden uns Bilder des Elends präsentiert, steigt die Spendenbereitschaft. Sehen wir einen Menschen mit groben Gesichtszügen, halten wir ihn für weniger intelligent. Chantal und Kevin sind keine Namen, sondern ein Stigma.

Leider trifft es auch immer wieder mal den Falschen. Hier gilt um so mehr die o.a. Aufforderung, seine Gedankenmuster und Handlungsweisen zu reflektieren, ggf. anzupassen und Kollateralschäden auszugleichen.

 Weiterführende Informationen unter:
https://www.deutschlandfunk.de/logik-und-intuition-die-andere-seite-der-vernunft-100.html