Gedankenspiele

Unsere Demokratie muss geschützt werden

Die Fliehkräfte in der Gesellschaft werden immer heftiger. Viele der herkömmlichen Werte sind uns abhandengekommen und neue verbindende noch nicht etabliert. Man muss leider feststellen, dass Agitatoren im öffentlichen und privaten Raum das Vakuum nutzen, um ihre kruden Ideen unter die Bevölkerung zu bringen und Stimmung gegen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung zu machen.
Demokratie ist nicht einfach da. Sie bedarf des aktiven Schutzes und der Pflege.
Man muss es nur wollen, einige Mechanismen und universelle Regeln kennen und beachten.

Was treibt die Menschen an, die so gar nichts mit den Freiheiten anfangen können, die uns die Väter des Grundgesetzes zusammengetragen haben und deren Text mit dem Blut vieler Menschen geschrieben wurde, die in der Vorzeit darum gerungen haben.
Es ist wohl ein ganzer Blumenstrauß von Gründen und Interessen. Einige fühlen sich abgehängt oder haben sich anderen Ideologien verschrieben, die dem demokratischen Gemeinwesen zum Teil gar nicht förderlich sind. Andere sehnen sich danach, sich über ihre Mitmenschen zu erheben oder haben noch ganz andere Motivationen. Letztendlich sind das aber alles eher Egoismen als gemeinnützige Interessen.

Mir ist keine Gesellschaftsform bekannt, die frei von egoistischen Interessen wäre und egoistische Verhaltensweisen produzieren leider immer Gewinner und Verlierer. Das scheint ein Naturgesetz menschlichen Handelns zu sein.
Woher allerdings so viele Menschen die Gewissheit nehmen, dass sie unter einem anderen System unbedingt zu den Gewinnern zählen würden, bleibt für mich rätselhaft. Insbesondere wird das nicht eintreten, wenn es ihnen an notwendigen Qualifikationen oder Beziehungen mangelt. Auch nicht, wenn es ihnen von den Demagogen immer wieder gebetsmühlenartig gepredigt wird. Ständige Wiederholungen machen aus dummen Sprüchen keine Wahrheiten.
Fakt ist auf jedem Fall, dass die Europäer, seitdem die es Europäische Union demokratischer Staaten gibt, in relativem Wohlstand und Frieden leben können.

Es gibt eine Unzahl von Abstufungen bei den Motivationen und Begründungen, die zur Ablehnung des aktuellen politischen Systems in Europa führen könnten, da für jeden Wohlstand, Ideologie oder Macht anders definiert ist.

Unbestreitbar stellen noch vor den demokratischen Werten, eine ausreichende Sicherheit und Ernährung, die Eckpfeiler unseres Gemeinwesens dar.
Die Sicherheit wird aktuell aus allen Himmelsrichtungen bedroht. Von außen z.B. durch russische, chinesische Territorial- und Wirtschaftsinteressen und einem sich ausweitendem Protektionismus. Kriege, Hungersnöte, Umweltzerstörungen riesigen Ausmaßes, Migrationswellen, Islamismus und bisher unbekannte Gefahren, wie Pandemien, Cyberkriminalität, rollen unaufhaltsam auf uns zu.
Von innen bedrohen uns Extremisten vom rechten und linken Rand, die scheindemokratische Parteien in die Wahlkämpfe schicken, das Parteiensystem aufsplittern und damit schwächen. Sie bieten scheinbar einfachen Lösungen für sehr komplexe Themen an und stellen sich als Vertreter der Interessen der Unzufriedenen dar. Das sich etliche Zielsetzungen widersprechen und sich unter deren Fahnen Gruppen zusammenfinden, die eigentlich gar nicht zusammengehören, wird durch laute Parolen übertüncht. Staatsfeindliche Tendenzen werden übersehen, weil der Zweck (Systemwechsel) die Mittel heiligen soll.
Das alles trägt zu einer nachhaltigen Verunsicherung der Bevölkerung bei und führen zum Ruf nach einer starken Führerfigur, die, wie damals der Papa, alles zum Guten richten wird.

Nahrungsmittel stehen im Übermaß zur Verfügung und werden in ungesunden Mengen konsumiert. Das ist neben dem Bewegungsmangel maßgeblich dafür verantwortlich, dass uns Zivilisationskrankheiten in einem nie gekannten Ausmaß überrollen. Leider stehen uns die meisten Nahrungsmittel nur in einer mangelhaften Qualität zur Verfügung. Massentierhaltung, Umweltverschmutzung, Artensterben und Chemie tragen dazu bei und verursachen nebenbei ein erhebliches klimatisches und moralisches Dilemma. Ebenfalls kein Zustand, der allgemeine Zufriedenheit aufkommen lassen würde, zumal von allen Seiten Ratschläge auf die Bürger einprasseln, deren Befolgung ungewohnt, unbequem, und teuer ist.

Wohlstandsempfinden hat immer etwas mit dem Vergleich zu anderen Menschen zu tun, wenn Neid geschürt wird oder Ungleichheiten überhandnehmen, ist der soziale Frieden gefährdet.

Ideologien und deren Protagonisten, egal ob politischer, wirtschaftlicher oder religiöser Natur, reklamieren für sich die Deutungshoheit über Prozesse, deren Ursachen und Wirkungen. Sie wollen dabei ihrer höchstpersönlichen, oftmals abstrusen Sicht der Dinge Geltung verschaffen.

Macht wird in allen Gesellschaftsbereichen (Politik, Wirtschaft, Religion, Partnerschaften, Abhängigkeitsverhältnissen usw.) in verschiedenster Form und Intensität physisch, psychisch, ideologisch und wirtschaftlich, zum vermeintlich Guten oder Schlechten ausgeübt. Dabei wird weder vor Krieg, Mord, Sklaverei, Vergewaltigung, Übervorteilung noch vor Verleumdung, Verblendung, Lug und Betrug zurückgeschreckt, um die eigene Macht zu mehren und zu verfestigen. Machtbesessene nutzen auf ihrem Weg dann bedenkenlos alle Ideologien und Egoismen der Mitläufer, um ihre Ziele zu erreichen. Macht kann Menschen aber auch durch Erziehung, Vorgaben und Ahndung nach Recht und Gesetz sowie durch Vermittlung von Moralvorstellungen mit mehr oder weniger Druck in sozial adäquate Bahnen lenken.

Natürlich darf man die Frage stellen, ob unsere Demokratie um jeden Preis verteidigt werden muss. In manchen Bereichen kommen Autokraten aufgrund ihrer Machtstellung sicherlich schneller zu Ergebnissen, als das demokratische Entscheidungsfindungen je könnten. Leider scheint der Mensch aber nicht geeignet zu sein gute, nicht von der Macht korrumpierte Autokraten hervorzubringen. Daher ist es wohl eher richtig, sich für die Demokratie vehement und vernehmlich einzusetzen. Es gibt aber genügend Kräfte, denen funktionierende Demokratien ein Dorn im autokraten Auge sind.
Demokratien sind auch als Ideologie an sich gefährdet, sobald Menschen in dieser unkontrolliert an Macht gewinnen. Daher sind Gewaltenteilung, freie Meinungsäußerung, Pressefreiheit und einige weitere Kontrollmechanismen, sowie deren Wehrhafigkeit von hoher Bedeutung und schützenswert! Die Vermeidung von Benachteiligungen oder Bevorzugungen, ohne rechtliche Legitimation, ist in einer Demokratie für jegliches gesellschaftliches Handeln oberstes Gebot.

Das Wesen einer Demokratie besteht darin Konsens über gemeinsame Ziele und Vorgehensweisen zu erreichen. Das funktioniert natürlich nicht, wenn jeder ausschließlich egozentrische Interessen verfolgt. Irgendwann muss man akzeptieren, dass andere Interessen für das Gemeinwohl gerade wichtiger sind als die eigenen. Akzeptieren in diesem Sinne heißt aber nicht, dass man sich das jeweils andere Gedankengut zu eigen machen muss.  Ich nenne das lieber eine kritische Akzeptanz, mittels derer Inhalte mit rechtsstaatlichen Mitteln, aktiv in Frage gestellt werden dürfen. Nichts anderes passiert, wenn man politische, religiöse, wirtschaftliche, gesellschaftliche oder private Vorgänge öffentlich aufarbeitet, rechtlich regelt, gerichtlich überprüft oder durch Ordnungskräfte sicherstellen lässt.

Werden Altruismus und Empathie wohldosiert eingesetzt, können in Gruppen Wunder wirken, denn die tragen sich von alleine, da sie soziologisch überwiegend Vorteile für Geber und Nehmer bieten.
Gerade Altruismus hat neben dem selbstlosen Wirken einen vielleicht zu wenig beachteten egoistischen Aspekt, den diese Verhaltensweise aber so attraktiv macht. Anderen aktiv und ohne offensichtlichen Eigennutz etwas zugute kommen zu lassen, regt regelmäßig korrespondierende Reaktionen aus, da der Nehmer gegenüber dem Geber quasi in eine Schuld gerät. Es gilt nämlich in weiten Teilen der Gesellschaft als sozial adäquat für einen Werteausgleich zu sorgen. Oft befriedigt der altruistische Geber sogar sein eigenes Bedürfnis, dem Gegenüber Aufmerksamkeit zu schenken und/oder einem entsprechenden gesellschaftlichen Erfordernis nachzukommen. In der heutigen Konsumgesellschaft könnte er damit auch noch seinen Jäger- und Sammlertrieb (modern: seine Kauflust) befriedigen, ohne sein eigenes Eigentum, das möglicherweise bereits überfrachtet ist, weiter aufzublähen.  
Das gilt allerdings nur wenn sich die Beteiligten auf Augenhöhe begegnen, sonst kann es leicht zu einer Überforderung des sozial schlechtergestellten Partners kommen und somit zu sozialem Stress.
Altruismus befördert auf diese Weise den sozialen Zusammenhalt. Sich gegenseitig lausende Affen wissen was sie tun!

Auch emphatisches Verhalten hat eine weniger beachtete egoistische Seite. Bereits bei unseren frühen Vorfahren war es von Vorteil zu wissen, wie der Gegenüber denkt, welche Bedürfnisse und Ängste er hat und wann welche Handlungen (un-)erwünscht sind. Der Gegenüber erlebt die Berücksichtigung seiner Befindlichkeiten als Wertschätzung seiner Persönlichkeit. Aus dieser Stimmungslage heraus ist dieser wiederum eher bereit ebenfalls emphatisch zu handeln, was zu einer Win-Win-Situation führt, und somit das gemeinsame gedeihliche Zusammenleben fördert.

Diese Mechanismen stoßen allerdings da an ihre Grenzen, wo der unbedingte Machtwille überwiegt und Narzissten, Fanatiker oder anderweitig retardierten Menschen agieren, denen sozial adäquates Handeln weitgehend fremd ist. Wir erleben gerade auf der politischen Bühne, dass Macht über alles geht. Vieles ist bereits deswegen schlecht, weil es der politische Mitbewerber eingebracht hat. Der Kampf der Ideologien ist zum globalen Flächenbrand geworden und innerhalb der Gesellschaft werden vermeintliche Rechte mit Gewalt verteidigt. Die sozialen Medien polarisieren und geben allen Verschwörungstheoretikern und Demagogen ihre Bühne. Die christlichen Religionen verlieren in westlich geprägten Ländern zwar stark an Rückhalt, klammern sich aber an alte Machtstrukturen. Neue Volksverführer stehen bereits parat, um diese Lücke auszufüllen. Auch sie fordern wieder von den Menschen bedingungslosen Gehorsam und verlangen von ihnen, ihren zum Teil abstrusen Regeln zu folgen und unlogische Narrative zu akzeptieren.
Empathie und Akzeptanz gegenüber Verhaltensweisen vieler gesellschaftlichen (Rand-)Gruppen wird von vielen (Möchtegern-)Intellektuellen zum Teil im Übermaß eingefordert und mündet nahezu in einen Kulturkampf, in dem sich weite Teile der Bevölkerung nicht mehr wiederfinden. Der Streit über vermeintliche kulturelle Aneignungen, Gendern, sexuelle, religiöse oder politische Ausrichtungen und Extremismus seien hier nur stellvertretend für viele andere Themen benannt.

Wie überall macht überall die Dosis das Gift. Alles muss zu seiner Zeit und im gebotenen Maß eingesetzt werden, um eine positive Wirkung erzielen zu können und man muss sich andererseits darauf einlassen wollen und können.

Eine humanistische Ethik könnte uns weiterbringen, da sie jedes Leben auf dem Planeten respektiert, wissenschaftlich untermauerte Denk- und Handlungsweisen fördert und nachhaltiges Wirtschaften einfordert, das die natürlichen Abläufe berücksichtigt und die Umwelt schont. Das bedarf aber, wie oben beschreiben, eines ausgewogenen Verhältnisses von Fordern, Geben und Nehmen. Macht muss kontrolliert und ggf. beschränkt werden. Wir müssen akzeptieren, dass demokratische Lösungsfindungen komplizierter sind als Diktate von Diktatoren.

Letztendlich lebt eine Demokratie aber vom Mitmachen und der Bildung der Teilnehmer, denn sie müssen wissen, was sie tun!