Gedankenspiele

Impressionen aus einem Einkaufscenter

Ein großes Bauwerk türmt sich vor mir auf. Ein Konsumtempel, oder korrekter … ein Einkaufscenter.

Hinter der Luftschleuse empfängt mich die schillernd bunte Welt des nie endenden Wachstums und Konsums. Man wundert sich, wie viele Menschen auch heute und jetzt wieder Muße, Lust und Geld haben, sich diesen Verführungen auszusetzen.
Zielstrebiger Erwerb dringend benötigter Güter steht offensichtlich nicht im Vordergrund des Geschehens. Man geht „Bummeln“. Das zeigt sich alleine schon darin, dass alle Zeit ohne Ende zu haben scheinen und mehrfach an mir vorbeilaufen, ohne eine Zielstrebigkeit erkennen zu lassen.

Ach ja, wieso beobachte und schreibe ich das eigentlich alles? Meine Frau hat mich, um ihre dringend benötigten Einkäufe in Ruhe erledigen zu können, auf einer bequemen Bank, mitten im Trubel geparkt.

Manche Dinge sind skurril. Neben mir sitzt ein ebenfalls geparkter älterer Herr, der gerade wohl beim Zahnarzt war. Er kramt ein Kästchen hervor, dem er etwas entnimmt, dessen Bedeutung mir erst beim zweiten Blick erschließt, weil ich sowas nie erwartet hätte. Das fleischfarbene Etwas mit weißen Ausstülpungen sind seine neuen „Dritten“, die er ausgiebigst bewundert und vorsichtig wieder der Dose überantwortet. Glücklicherweise macht er keine Probesitzung „Alt gegen Neu“!

Keiner, der aufgerufen wäre künstliche Menschen zu erschaffen, wäre auf die Idee gekommen solche Wesen zu kreieren. Einzigartig und auf den Skalen von arm/reich, an-/unansehnlich, interessiert/arrogant, Gothik/puppig, dick/dünn, groß/klein von maximal bis minimal alles vertreten.

Eine Horde pickeliger Teenager flutet überfallartig und mit überbordender Energie die Hallen. Alice Coopers „School‘s out“ kommt mir nach so vielen Jahren wieder in den Sinn.
Vorbei an allem Glitzerkram drängeln sie sich vor dem Bäcker, strömen in den Discounter und das Schnellrestaurant. Kurze Zeit später präsentieren sie ebenso laut kauend die Trophäen ihrer Jagd … und die Welle brandet, vor ihrem Verschwinden, gegen den gegenüberliegenden Ausgang. Der Bushaltestelle entgegen. Vorbei der Spuk!

Vergleichsweise besinnliches Konsummieren hat wieder die Kontrolle über die Hallen übernommen. Man meint das Rascheln der Geldscheine, das Klingeln der Münzen und die mechanischen Laute der Kassenzetteldrucker zu hören. Sie werden aber von der Kackophonie aus zufriedenem Flüstern, Klacken der netten Schüchen auf dem Marmor und dem typischen Geräuschen voller Einkaufstüten leicht übertönt.

Meine Blicke wandern über die dumpfen Augen des Verkäufers am E-Zigarettenstand vor der Apotheke zu denen des hellwachen, netten Apothekers. Der eine verführt seine Kundschaft zum Kokeln, der andere heilt mit seinem überaus gewinnenden Lächeln und den Segnungen seiner Auslagen die Wunden der kaputten Lungen und so ganz nebenbei auch die seines Kontos.
Und mich … wundert gar nichts mehr.

Wenn man genau hinsieht, drängen sich die ersten Zeichen des Verfalls aber bereits auf. Die stumpfen Augenhöhlen geschlossener Geschäfte konkurrieren mit den lähmenden Bewegungen des Verkaufspersonals in den viel zu leeren Gängen anderer Geschäfte. Man sortiert die Ware von links nach rechts und … wieder von rechts nach links.
Die Uhr tickt vernehmlich für viele Händler. Die nach Sonderangeboten gierenden Augen vermeintlicher Kunden taxieren die Auslagen der bereits siechenden Geschäfte. Über allem schwebt das unheilige und doch so betörende Zauberwort „Sonderangebot“!
Geier über dem Kadaver!
Ennio Morricones „Spiel mir das Lied vom Tod – Armonica“ sollte eigentlich diese Scenerie aus den Lautsprechern des Centers mit seinen quälenden Tönen der Mundharmonika untermalen.

Am Ende des Ganges erscheint mein erlösendes Licht. Die blonden Haare meiner Frau dringen zu mir vor und läuten das Ende meiner Betrachtungen ein. Auch sie hat Beute gemacht und präsentiert das „Schnäppchen“ voller Zufriedenheit. Alles wird gut!

Wass man auf einer gemütlichen Bank alles so denkt und schreibt, während das Leben an einem vorbeizieht!
Mal schnell, mal langsam; mal laut, mal leise … .
Die Uhr tickt für jeden und alles!

School’s out
https://youtu.be/rcEbSkaAqkg?si=XtLFtQSL6cd6m-Rc

Spiel mir das Lied vom Tod
https://youtu.be/At5nYDFDzXw?si=nug_7yyGb-Lz9Q5X