Zucker, ein süßes Gift?
Ein Zuviel an Zucker schadet nachweislich der Gesundheit. Manche Ernährungsratgeber empfehlen deshalb, komplett darauf zu verzichten. Fachleute sind sich jedoch uneins darüber, ob das wirklich die beste Strategie ist.
Zuckerhaltige Lebensmittel ganz vom Speiseplan zu streichen, ist bestimmt keine gute Idee, weil eine solche Diät sehr einseitig wäre. Das wäre auch kaum möglich, denn nicht nur Schokolade, Kuchen oder Fertiggerichte sind reich daran. Auch Obst, Gemüse und Nüsse enthalten unter anderem Glukose (Traubenzucker), Fruktose (Fruchtzucker) und Saccharose (Haushaltszucker) in unterschiedlichen Verhältnissen.
Natürliche Zuckeralternativen wie Honig, Ahornsirup oder Agavendicksaft werden häufig als gesünder angepriesen. Laut Fachleuten ist das allerdings ein Irrglaube. Die flüssigen Süßungsmittel enthalten zwar geringe Mengen an Vitaminen, Aminosäuren und Mineralstoffen. Doch zum größten Teil bestehen sie aber nur aus Zucker und am Ende landet dieser ebenso als Glukose und Fruktose im Körper.
Dazu, wie Zuckerersatzstoffe langfristig auf den Organismus wirken, brauche es noch mehr Untersuchungen, sagen Ernährungswissenschaftler. Sie halten es für ratsam »dass man Zucker nicht eins zu eins mit Süßstoff ersetzt«. Bislang ist man sich bei ihren gesundheitlichen Auswirkungen zwar uneins, aber das bedeutet nicht, dass sie keine haben. Zudem gibt es einen offensichtlich negativen Effekt: Die Substanzen konditionieren das Gehirn darauf, weiter nach Süßem zu verlangen. Das macht es wiederum schwieriger, auf Naschereien zu verzichten und den Zuckerkonsum langfristig einzuschränken. Und das, hier sind sich die Fachleute einig, wäre in jedem Fall eine gute Idee.
Anders als bei Proteinen, Fetten, Vitaminen und Mineralstoffen gibt es nach neueren Erkenntnissen keinen Zucker, den der Körper braucht und nicht selbst herstellen kann.
Und wie sieht es aus, wenn die Süße aus Früchten stammt? Obst enthält vor allem Fruktose. Sie gilt sogar als besonders schädlich, zudem ist sie zugleich sehr süß und günstig herzustellen. Deshalb verwenden Softdrinkhersteller den Fruchtzucker gern in ihren Limonaden. Aus chemischer Sicht gleicht die Fruktose in einem Glas Cola jener in einer Orange.
Einen wichtigen Unterschied gibt es allerdings: In der Frucht umgibt den Zucker eine Matrix aus Nähr- und Balaststoffen. Das sorgt dafür, dass der Körper ihn langsamer und unvollständig aufnimmt. Wer Obst aber püriert oder presst, zerstört dieses Geflecht. In der Folge kann der Darm die Fruktose ungehindert aufnehmen.
Darum wirkt ein Glas Orangensaft ähnlich auf den Stoffwechsel wie ein Glas Cola!
Nach einer Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation sollten wir täglich maximal 50 Gramm Zucker zu uns nehmen. Tatsächlich konsumiert der Deutsche durchschnittlich mindestens doppelt so viel.
Die gesundheitlichen Folgen sind gut erforscht: Ein dauerhaft erhöhter Blutzuckerspiegel lässt die Haut schneller altern, verfettet die Organe und wirkt sich negativ auf kognitive Fähigkeiten aus. Übermäßiger Zuckerkonsum fördert außerdem Karies sowie Übergewicht und steigert das Risiko für Krebs, Diabetes, Herzinfarkt und Schlaganfall. Diese »Zivilisationskrankheiten« gehören heute zu den weltweit führenden Todesursachen. Andreas Pfeiffer, Ernährungsforscher an der Charité in Berlin, vermutet, dass sie vor allem mit der zunehmenden Fettleibigkeit zusammenhängen, die vom Überfluss an Süßem begünstigt wird.
Glukose ist der wichtigste Brennstoff unserer Zellen. Sie wird im Darm aufgenommen und über das Blut im Körper verteilt. Der Vorgang stößt einen ausgeklügelten Stoffwechselkreislauf an.
Dabei entsteht am Ende Adenosintriphosphat, das der Körper als universellen Energieträger nutzt. In der Leber und in geringerem Maß auch in anderen Organen stellen die Zellen aus überschüssiger Glukose Glykogen her, das sie einlagern können. Was dann noch übrig bleibt, wird in Fett umgewandelt und als Langzeitreserve im Körper angelegt.
Anders sieht es bei Fruktose aus: Dieser Einfachzucker hat keinen Einfluss auf den Blutzuckerspiegel, sättigt nicht, und der Körper kann ihn erst nach einem zusätzlichen Stoffwechselschritt zur Energiegewinnung heranziehen. Fruktose wird größtenteils von der Leber aufgenommen und dort – sofern ausreichend Glukose vorhanden ist – sogleich in Fett umgewandelt. Das kann dazu beitragen, dass sich eine Fettleber ausbildet.
Rote Blutkörperchen sind auf Glukose angewiesen, und Muskeln verbrennen sie vermehrt bei physischer Anstrengung. Besonders viel des Brennstoffs fließt allerdings in Neurone. Das Gehirn verbraucht allein rund 120 Gramm Glukose pro Tag, was etwa zwei Dritteln des Tagesbedarfs des gesamten Körpers im Ruhezustand entspricht. Fällt der Blutzuckerspiegel zu stark ab, macht sich das schnell durch Beschwerden bemerkbar: Betroffenen wird schwindelig, sie fühlen sich plötzlich schwach und können Sehstörungen entwickeln. Hält der Mangel an, fallen sie in Ohnmacht und schließlich ins Koma.
Doch wir müssen unseren Bedarf an Glukose nicht ausschließlich in Form von Zucker zu uns nehmen. Der Körper ist nämlich dazu fähig, bestimmte Stoffe so zu verdauen, dass daraus Traubenzucker entsteht. Stärke, wie sie etwa in Getreide oder Kartoffeln vorkommt, besteht aus verketteten Glukosemolekülen. Enzyme im Verdauungstrakt spalten sie in ihre Bausteine auf. Sobald der Zucker aus der Nahrung aufgebraucht ist, kann die Glukoneogenese aus gespeicherten Fetten oder Aminosäuren Nachschub herstellen. Das dauert allerdings länger und kostet zusätzlich Energie. Glukose gilt deshalb als besonders schneller und direkter Energielieferant.
Zucker ist jedoch mehr als ein Energielieferant – und seine Wirkung geht über die rein physiologischen Stoffwechselprozesse hinaus. Menschen essen Süßes, weil sie Trost suchen oder Stress abbauen wollen. Sie schenken einander Pralinen als Zeichen der Zuneigung und feiern Feste mit Sekt und Kuchen. Die Rolle, die Zucker bei diesen Situationen spielt, ist kaum überraschend, denn er aktiviert das Belohnungssystem des Gehirns.
Dieses kann den Menschen konditionieren z.B. in belastenden Lebenslagen vermehrt zu Süßem zu greifen und setzt damit einen ungesunden Kreislauf in Gang.
Gesunde Menschen müssen keinen Zucker-Totalverzicht leisten. Wie so oft mach die Menge das Gift!
(Quelle: Spektrum der Wissenschaft – Kompakt, Nr. 44 – 2024)
