Politik

Das Erfolgsmodell – Trump

Trumps Schlag gegen Frauen

Erst stoppte er Hillary Clinton, jetzt Kamala Harris: Donald Trump konnte erneut Männer besser gegen seine Gegenkandidatin mobilisieren als umgekehrt. Zu Trumps Männerkoalition gehören, Ironie der Geschichte, mehr denn je auch Latinos und Moslems. Eine Analyse von RND-Chefautor Matthias Koch.

Respektvoll umzugehen mit Frauen war und ist einfach nicht sein Ding. Inzwischen aber erscheint es wie ein trickreicher Plan.

Es war schon Mitternacht, als Donald Trump am 4. November, bei der allerletzten Kundgebung seines Präsidentschaftswahlkampfs 2024, in der Van Andel Arena in Grand Rapids, Michigan, auf die Abgeordnete Nancy Pelosi zu sprechen kam, die ehemalige Chefin des Repräsentantenhauses, eine langjährige politische Rivalin.

„Sie ist ein schlechter Mensch“, hob Trump an. „Böse. Sie ist eine böse, kranke, verrückte –“ Laut „New York Times“ verzog er nun das Gesicht und öffnete den Mund weit, um die Aufmerksamkeit auf die nächste Silbe zu lenken: „Bi-“

Dann hielt er theatralisch einen Finger hoch. „Oh nein“, sagte er. Als die Menge zu lachen begann, formte Trump das Wort mit dem Mund ins Mikrofon. „Es fängt mit B an, aber ich werde es nicht sagen.“ Als das Gebrüll der Menge immer lauter wurde, begannen einige der Anwesenden, das Wort auszusprechen, das er knapp ausgelassen hatte, und riefen: „Bitch!“. Zu Deutsch: „Schlampe!“

Er senkte die Hörner – und siegte

Normalerweise würde es sich kein Präsidentschaftskandidat je erlauben, noch am Abend vor der Wahl so verächtliche frauenfeindliche Töne anzuschlagen. Trump aber hat es getan, mit Absicht. Denn ihm ging es auf den letzten Metern nicht mehr um Frauen. Von denen hat er, seine Berater haben es ihm immer wieder vorgerechnet, ohnehin viel zu viele gegen sich. Ihm ging es jetzt nur noch um die Männer. Könnten die jetzt bitte ein bisschen lachen, johlen – und ihn dann am nächsten Tag wählen?

Der 78-Jährige bewies, dass er eine Witterung hat für die Stimmungen im Land. Die USA gingen tatsächlich gerade als eine geteilte Nation in den Wahltag. Mit den Themen Abtreibung und Selbstbestimmungsrecht der Frau hatte Harris schärfer denn je eine frauenpolitische Abgrenzung zu den Republikanern vorgenommen. Unterm Strich war dies aber nicht hilfreich.

Inzwischen veröffentliche Wählernachfragen zeigen: Trump hat am Ende die Männer sogar stärker mobilisiert als Harris die Frauen – ein Effekt, den Demoskopen, Politologen und Berater aller Couleur nicht erwartet hätten, schon gar nicht jene, die im Wahlkampfhauptquartier der Demokraten das Sagen hatten.

Amerikas Frauen blicken jetzt auf ein doppeltes historisches Desaster. Erst wurde im Jahr 2016 mit großem Trommelwirbel die glücklose Hillary Clinton auf den Weg in Weiße Haus geschickt. Acht Jahre später brach Kamala Harris noch ein Stück tiefer ein.

In beiden Fällen scheiterten hoch qualifizierte, intellektuell messerscharfe Frauen nicht an irgendeinem Mann, sondern ausgerechnet an einem ebenso bräsigen wie toxischen Macho namens Donald Trump. Wie kommt das?

Eigentlich ist klar: Knapp 250 Jahre nach Gründung der USA wäre es keineswegs übereilt, das Präsidentenamt auch mal einer Frau zu geben. Warum dies in ihrem Land noch nie geschah, können Amerikanerinnen und Amerikaner aus der politischen Mitte im internationalen Kontext kaum noch erklären.

Eigentore der Frauenbewegung

In Europa führen zwei Frauen die beiden wichtigsten Institutionen: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EZB-Präsidentin Christine Lagarde. Von einer Grundsatzdebatte, ob auch Frauen für höchste Ämter geeignet sind, ist schon seit Jahrzehnten nichts mehr zu hören. In Deutschland regierte einst Angela Merkel (2005 bis 2021), in Großbritannien Margaret Thatcher (1979 bis 1990), in Israel Golda Meir (1969 bis 1974). Alle zeigten sich nervenstark, auch und gerade in Krisen.

Den USA indessen fehlt noch immer ein solches Beispiel. Über Hillary Clinton und Kamala Harris heißt es inzwischen bei den US-Demokraten, beide Kandidatinnen seien vielleicht „etwas unglücklich ausgesucht“ worden, jede auf ihre Art.

Tatsächlich beginnt jetzt eine unangenehme Erkenntnis zu sacken: Ganz offensichtlich hat die Frauenbewegung an dieser Stelle zwei Eigentore geschossen.

Hillary Clinton erschien 2016 allzu sehr als eine Figur aus dem langjährigen Washingtoner Establishment. Bei vielen Wählerinnen und Wählern wurde ständig die Verbindung zu Ehemann Bill Clinton (Präsident von 1993 bis 2001) mitgedacht. Das raubte der Kandidatin einen Teil ihrer Eigenständigkeit und Glaubwürdigkeit – obwohl sie es zuvor schon zur Außenministerin unter Barack Obama (Präsident von 2009 bis 2017) gebracht hatte.

Kamala Harris ist unter noch komplizierteren Umständen gestartet. Harris war Vizepräsidentin im Moment ihrer – viel zu späten – Entscheidung zur Kandidatur, deshalb fehlte es ihr naturgemäß an Distanz zum immer noch amtierenden Präsidenten Joe Biden. In Bedrängnis geriet Harris schon ganz zu Beginn durch eine harmlose Frage in einem Fernsehinterview: „Was, wenn überhaupt, hätten Sie in den letzten vier Jahren anders gemacht als Präsident Biden?“ Antwort Harris: „Da gibt es nichts, was mir in den Sinn kommt …“ Hinzu kommt: Die Republikaner hatten sie schon seit Langem auf dem Feindradar: arrogante Juristin aus San Francisco, ohne eigene Kinder, abgehobenes Großstadtgeschöpf, „keine von uns“.

Die Demütigung geht jetzt tiefer

Für viele amerikanische Frauen gehen Frustration und Demütigung jetzt sogar noch tiefer als 2016. Hillary Clinton hatte es damals immerhin geschafft, landesweit eine Mehrheit der Stimmen abzugreifen. Dass sich wegen des nach Bundesstaaten ausgerichteten Wahlrechts dennoch eine Mehrheit gegen sie im alles entscheidenden Wahlleutegremium ergab, wirkte auf viele wie eine Art Systemfehler und half, die Niederlage zu verschmerzen.

Für Harris hingegen gibt es keinen solchen tröstlichen Aspekt. Von den Swing States im Norden, Pennsylvania, Michigan und Wisconsin, auf die sie und ihre Kampagne sich wochenlang mit gigantischem Einsatz von Geld und Material konzentrierten, gewann sie keinen einzigen. Parteiintern bleibt Harris als „underperforming“ in Erinnerung, mit objektiv enttäuschenden Leistungen. Landauf, landab schnitt sie schwächer ab als ihr Freund und väterlicher Förderer Biden im Jahr 2020.

Anfangs sah es im Wahlkampf 2024 aus, als könne Trump diesmal durch einen kollektiven Machtbeweis der Frauen ein für allemal besiegt werden. Im Jahr 2017, als im Weinstein-Prozess immer neue Fälle von sexueller Nötigung rund um den berühmten Regisseur bekannt wurden, war die Me-Too-Bewegung entstanden und hatte mehr Respekt vor Frauen verlangt. Allzu oft, hieß es seither, blieben Übergriffe von Männern ungeahndet Da müsse man jetzt endlich mal strenger werden.

Weniger beleuchtet wurden die damals in Gang gesetzten Reaktionen in der Männerwelt. Trump war einer der wenigen, die auch öffentlich vor der Me-Too-Welle nicht so recht zurückweichen mochten, er positionierte sich schon damals als Führer einer grummelnden Gegenrevolution. „Heutzutage“, schimpfte er, dürfe man einer Frau ja schon kein Kompliment mehr machen, sonst sei man schnell „erledigt“.

Damit traf er bei vielen Männern einen Punkt. Und dass diese Spannung politisch relevant werden könnte, haben die US-Demokraten verkannt.

Häufig hätten junge Männer das Gefühl bekommen, „dass sie als frauenfeindlich, homophob oder rassistisch abgestempelt werden“, sagt John Della Volpe, Direktor für Meinungsforschung am Harvard Institute of Politics. „Aus Frustration darüber, dass sie sich nicht verstanden fühle n, geraten viele dann in eine Bro-Kultur von Donald Trump oder Elon Musk. Sie schauen sich an, wem die Demokraten Priorität einräumen – Frauen, Abtreibungsrechte, LGTBQ-Kultur – und fragen ‚Was ist mit uns?‘“

Zur Bro-Kultur, abgeleitet von „Brother“, können private Netzwerke von Männern gehören, die sich zwecks gemeinsamer Besäufnisse treffen – oder sich einfach mal ganz entspannt aussprechen wollen, abseits aller Verpflichtungen zu politischer Korrektheit, Diversität und Inklusion.

Zuwanderer stützen Trump

Als Harris jetzt 75 Tage lang auf den Wahlkampfbühnen das Selbstbestimmungsrecht der Frau betonte, fremdelten in den USA alle, denen es insgeheim lieber wäre, wenn die Frau dem Manne untertan ist. Nicht nur angestammte Evangelikale aus den Provinzen denken so. Auch immer mehr Zuwanderer, Latinos und Araber vorneweg, bringen diese Haltung mit in Amerikas Metropolen.

Angesichts von Trumps Anti-Migranten-Rhetorik erscheint es wie ein Treppenwitz, doch zur Wahrheit gehört, dass Menschen mit Migrationshintergrund in diesem Wahlkampf seine große Koalition der Macho-Männer maßgeblich unterstützt haben. Nicht nur Latinos stimmten wieder zu höheren Anteilen für Trump. Auch die muslimische Community in Orten wie Dearborn, Michigan, etwa fand an Trump wieder Positives.

Bei einem Treffen mit dortigen religiösen Führern hatte Trump nicht nur sein Interesse an raschem Frieden in Gaza bekundet, sondern ungeniert auch eine breite „Übereinstimmung bei Wertvorstellungen bezüglich der Familie“ hervorgehoben. Trump wusste: Mit ihren täglich wiederholten Rufen nach liberalen Abtreibungsregeln vermochte Harris diese migrantische Gruppe nicht zu begeistern.

Neuen Schub durch die Trump-Wahl erhofft sich die in den USA leise wachsende sogenannte Tradwives-Szene. Tradwives sind Frauen, die bewusst in traditionelle Rollen schlüpfen – Kinder, Küche, Kirche – und dort ihr neues Glück suchen, auch als Alternative zum Stress im Job. In immer mehr Tiktok-Videos treten beseelt junge Frauen auf, die man früher als „Heimchen am Herd“ belächelt hätte, und beschreiben ihr Leben in einer dem Manne dienenden Rolle als wunderbar.

Zu den politischen Förderern dieser neuen Richtung wird vor allem der angehende Vizepräsident J. D. Vance gerechnet. Angeblich plant er bereits staatliche Programme, die das Fernbleiben junger Frauen vom Beruf finanziell begünstigen sollen.

Während Harris im Wahlkampf mehr Geld für Kinderbetreuungsangebote gefordert hatte – mit dem Ziel, die Rückkehr von Frauen in den Beruf zu erleichtern, will Vance vor allem die Zahl von Kindern pro Frau steigern. In Interviews lobte Vance die Politik des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban. Danach werden Frauen, die vier oder mehr Kinder zur Welt bringen, zur Belohnung lebenslang von der Einkommensteuer befreit.

Pläne dieser Art finden, ein Treppenwitz, in den USA just bei jenen eine besonders positive Resonanz, die eben noch von den Republikanern besonders misstrauisch beäugt wurden: muslimischen Zuwanderern der weniger modernen Sorte.

(Quelle: KStA vom 10.11.2024, MATTHIAS KOCH (RND))