Politik

Deutschland vor der Wahl

Was könne wir von Amerika lernen?
(Quelle: Die Politische Meinung, 24/V, Interview mit Stephan Bierling, Leiter der Professur Internationale Politik und Transatlantische Beziehungen an der Universität Regensburg – u.a.)

Große Teile der Politiker und Berichterstatter haben immer noch nicht verstanden, dass Angst die zentrale Motivation für die eher emotionalen Wahlentscheidungen großer Teile der Bevölkerung in den USA war und wahrscheinlich auch bei uns sein wird. Die tragenden Säulen der Innen- und Außenpolitik bröseln und das Narrativ über den stetig wachsenden Wohlstand gilt für viele Menschen nicht mehr. Eine ganze Generation ist mit dem Versprechen „Wir schaffen das schon!“ aufgewachsen und sieht sich jetzt mit einem multiplen Versagen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft konfrontiert.

Die politische Mitte erodiert in Deutschland, Europa und der Welt, die Infrastruktur ist marode, der Sozialstaat, wie wir ihn bisher kannten, ist nicht mehr finanzierbar und bricht weg, der immer wieder beschworene gesellschaftliche Zusammenhalt ist nur noch ein Schatten seiner selbst.
Die Zeiten scheinen vorbei, als Fleiß, Wertschätzung, Empathie und Wohlstandsversprechen die treibenden Kräfte der deutschen Gesellschaft waren.
Sie wurden verdrängt von einem Krieg in Europa, dessen auch nur theoretischen Möglichkeit man sich Jahrzehnte lang verschlossen hat. Die Erkenntnis, dass nur die gemeinsame Stärke und Verteidigungsfähigkeit unsere demokratischen Staatsgebilde bisher vor diesem Desaster bewahrt hat, ist in woken Bevölkerungskreisen schmerzlich undenkbar und vor allem unaussprechbares Gedankengut.
Statt dessen regiert die Angst. Die Angst vor einer Pandemie, vor einem Krieg, vor Wohlstandsverlust, vor dem Klimawandel, vor Fremden. Zusammengefasst: Angst vor Veränderungen, vor dem Ungewissen und vor allem die Angst vor dem Kontrollverlust!

Diese Ängste sind sehr unterschiedlich verteilt.
Die bildungsfernen Bevölkerungsgruppen haben nicht die Kenntnisse und Fertigkeiten erworben sich in einer rasant verändernden Welt zu behaupten. Sie haben kaum Möglichkeiten sch auf Preissteigerungen einzustellen, sich gegen Umweltkatastrophen abzusichern, am Arbeitsmarkt auf modernere und/oder anspruchsvollere Arbeitsplätze auszuweichen. Sie sehen sich in ihrer Existenz bedroht und suchen einfache Lösungen für ihre drängendsten Probleme, die Ihnen dann von den Populistn der Parteien am politischen Rand geboten werden. Dann ist es auch unerheblich, wenn es dabei Kollateralschäden gibt, die Protagonisten vorbestraft sind oder unsachlich argumentieren. Alles Dinge, die sie entweder aus der gelebten Umgebung zur Genüge kennen oder als weniger tragisch abhaken.
Von den intellektuellen Eliten fühlen sich diese Menschen abgehängt. Es fehlt die Relevanz von Gendersternchen oder Woknes und von Lastenrädern oder Radwegen in Peru in ihrer eigenen Lebenswirklichkeit.

Die Mittelschicht dagegen hat Angst in prekäre Lebensverhältnisse abzurutschen.
Um den von den Eltern bekannten Lebensstil fortsetzen zu können müssen beide Ehepartner arbeiten. Da ausreichend zuverlässige Kita-Plätze in Qualität und Menge fehlen, muss der Alltag junger Familien teuer mit Hilfskräften oder den Großeltern untermauert werden. Die Mietpreise in den Ballungsräumen kann man sich kaum mehr leisten, eigene Bauvorhaben werden aus Kostengründen weit nach hinten verschoben und treiben so zusätzlich den Wohnraummangel an. Junge Familien und Gutverdiener ziehen in die Speckgürtel und unterziehen sich dem nervenaufreibenden Pendeln über die überlastete und marode Infrastruktur von Bus, Bahn und Straßen. Durch diesen Aderlass entgehen den Städten dann auch noch die dringend benötigten Steuermittel, um ihre Strukturen endlich zu verbessern und wieder konkurrenzfähig zu werden.
Die Nachrichten quellen über vom Elend der modernen Welt. (Cyber-)Kriege, Migration, Umweltzerstörung, Klimakatastrophen, Epidemien, Wirtschaftsflauten, KI-Bedrohungen bestimmen die Nachrichten und über allem das Damoklesschwert der leeren Kassen.

Hilflosigkeit, Ratlosigkeit und Zukunftsängste legen sich wie Mehltau über die Menschen und ersticken den Mut und den Glauben an eine Wende zum Guten.
Etliche jüngere Menschen kennen erst aus neuerer Zeit den Begriff „Verzicht“. Bis dahin galt auf den meisten Ebenen der Leitsatz „Den Kindern soll es mal besser gehen!“

Alle informieren sich auf ihre eigene Weise und bleiben dabei nur zu oft in ihren Echokammern gefangen, wo die eigenen Ängste aufgenommen und geschürt werden.
Dabei fallen die Errungenschaften der modernen Welt unter den Tisch. Tatsächlich hat noch kein Deutscher in den letzten Jahrzehnten den Krieg am eigenen Leib erfahren. Hunger, Obdachlosigkeit, Endzeitstimmung sind uns in der realen Welt größtenteils fremd. Die Kriminalitätsraten, Unfallstatistiken und die Anzahl schwerster Erkrankungen zeigen steil nach unten. Fische erobern sich die deutschen Flüsse zurück, erneuerbare Energien erleben einen enormen Anstieg und die Angst vor Überfremdung ist oft dort am stärksten, wo es die wenigsten Migranten gibt.

Die Debatte wird aber nur noch von Emotionen geleitet und nicht von rationalen Gedanken. Unsere etablierten Parteien haben das noch nicht verstanden und in ihre Ansprache an die Menschen eingearbeitet. In der Jagd um Wählerstimmen setzen sie immer noch auf akademische Werte und Überzeugungsarbeiten.
Bei allen anderen Gründen ist Kamala Harris auch an ihrer akademischen „Überheblichkeit“ gegenüber dem tumben, hemdsärmeligen aufbrausenden Auftreten eines Donald Trump gescheitert. Schickes Kostüm gegen Mc-Donald-Schürze hat dort, wo Emotionen regieren keine Chance. Wenn die Hamburger über die Theke gehen, will man nicht über die Klimakatastrophe in Afrika oder verlorene Habitate für Pinguine reden. Hier dominiert das Abreagieren der eigenen Ohnmacht über die Migranten, die mir meinen Job streitig machen könnten oder die steigenden Lebenshaltungskosten. Hier sind die Underdogs unter sich. Man versichert sich gegenseitig seiner Stärke und seines Wissens um die tatsächlichen Probleme der Gesellschaft und das sind dann gewiss keine den Gendersternchen, wie bei den Fuzzis der Grünen!
Die Populisten, wie Höcke, Weidel, Wagenknecht & Co. nehmen diese Sorgen und Nöte der Menschen auf und verstärken sie zum eigenen Nutzen. Schnell sind Sündenböcke gefunden. Die lange aufgestaute Wut wird auf das Establishment, Migranten, Muslime, die etablierten Parteien, Aktionäre, Kriegstreiber, Eliten und Städter gelenkt. Die haben mit den Menschen in prekären Lebenssituationen sowieso nichts mehr gemein, so das Narrativ.
Die Abgrenzung funktioniert übrigens auf beiden Seiten, denn die Dummies in den Hochhäusern verstehen ja gar nicht, worum es in diesen Zeiten wirklich geht. Die Eliten und Intellektuellen werkeln an ihren eigenen Lösungen, um ihre Besitzstände zu wahren.

Die Fronten verhärten sich und man redet nur noch übereinander und nicht mehr miteinander, der Abstand und das Unverständnis werden immer größer und man diskreditiert sich gegenseitig. Kompromisse, Konsens und ergebnisoffene Debatten, also das normale Besteck in der politischen und gesellschaftlichen Debatte, werden von unumstößlichen fundamentalistischen „Wahrheiten“ abgelöst.
Das ganze Geschehen bekommt dann irgendwann quasi religiöse Züge, wenn „Glauben statt Wissen“ postuliert wird. Dann verfangen auch keine Argumente mehr. Zahlen, Daten, Fakten verlieren ihre Bedeutung, da die da oben sowieso alle Statistiken manipulieren oder die da unten diese nicht interpretieren können.
Das Vertrauen in den Staat wird von den Populisten zielgerichtet zerstört, um die Leerstelle mit dem eigenen Fundamentalismus auszufüllen.

Letztendlich bestimmt nicht die eigene politische Agenda das Wahlverhalten, sondern die emotionale Distanz zur und Ablehnung der jeweils anderen Gruppe. Das erklärt auch, warum eigene argumentative Inkonsistenzen oder sogar Gesetzesverstöße von Personen oder Gruppen kaum in die Waage fallen, aber die Erregung über Andere überschäumt und diese von jedem Diskurs ausgeschlossen werden.
Dabei wird sträflich vernachlässigt, dass man bei der derzeitigen politischen Situation nur mit den Stimmen der eigenen Parteigänger wohl keine Regierung bilden kann, sondern Koalitionspartner braucht oder sogar als Minderheitsregierung von den „Feinden“ toleriert werden muss.

Wenn die etablierten Parteien nicht vehement die Sorgen und Nöte der Wähler aufnehmen und allgemeinverständliche Lösungen präsentieren, die auch im aktuellen Leben dieser Menschen eine Rolle spielen und dort nicht zu noch mehr Verwerfungen führen, werden die populistischen Parteien am Wahltag und auch danach große Erfolge einfahren.
Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass das nicht ausschließlich Gendersternchen, Klimakatastrophe und Radwege in den Großstädten sein können. Hier müssen die Sicherung der Arbeitsplätze, Migration, Inflation, Renten, Sozialbeiträge, Steuern u.V.m. auf die Agenda!
Sonst wird das nichts!

Und … die nächste Koalition muss sich bewähren, sonst wird sie ganz schnell durch die Populisten abgelöst.