Wird Putin gegen die Ukraine obsiegen?
Vor nunmehr drei Jahren hat Putin die Ukraine völkerwidrig überfallen. Dieser Überfall muss, so der Berliner Osteuropa-Historiker Jörg Baberowski (1), als eine Nachwehe des Zerfalls der russischen Hemisphäre eingeordnet werden, der immer noch nicht abgeschlossen ist. Putin will seine Weltordnung durch diesen Krieg offensichtlich wieder in eine für ihn akzeptable Richtung korrigieren.
Im Verlauf dieser Auseinandersetzung hat sich gezeigt, dass sich die Kriegsführung maßgeblich verändert hat. Der massive Einsatz schweren Gerätes ist nicht mehr kriegsentscheidend. Schiffe, Flugzeugträger, ganze Panzerkolonnen, militärische und zivile Infrastruktur können durch Drohnen und Partisaneneinsätze zerstört werden. Diese Wirklichkeit stellt Russland, genauso wie alle anderen gegenwärtigen Großmächte, vor große Probleme.
Russische Truppen konnten zwar gegnerisches Territorium einnehmen, die Ukraine aber nicht, wie von Putin zuvor vollmundig angekündigt, innerhalb kurzer Zeit bezwingen. Seitdem sind in diesem beiderseitigen Abnutzungskrieg fast eine Millionen Zivilisten und Soldaten gefallen, hunderte Milliarden Dollar für Rüstungsgüter wurden vernichtet, ganze Landstriche verwüstet und Infrastrukturen zerstört. Nicht zuletzt wurde ein Flüchtlingstreck ungeahnten Ausmaßes ausgelöst. Dieser Überfall könnte als teuerster Krieg in die Geschichtsschreibung eingehen, den Wiederaufbau noch gar nicht eingerechnet. Der Krieg kostet derzeit alleine Russland täglich rund 500 Millionen Dollar (2).
Kann Russland diesen Überfall überhaupt noch erfolgreich beenden oder kann die Ukraine den Aggressor sogar wieder vertreiben? Kommt es zu einem Patt?
Muss man sich vor diesem Hintergrund nicht ernsthaft der Frage stellen, wie diese Kämpfe beendet und die Länder wieder befriedet werden können?
Fragen, die auf eine Antwort warten, die ich hier aber nicht geben kann.
Auch wenn der russische Überfall völkerrechtlich und ethisch zu verurteilen ist und die freie Welt auf jeden Fall einen Präzedenzfall für Xi, Kim und andere Autokraten verhindern will, muss man akzeptieren, dass Russland diesen Krieg allein auf Grund seiner Göße und seiner gewaltigen Ressourcen letztendlich gar nicht verlieren kann. Dieser mächtige Staat kann von Selenskyjs Truppen weder erobert, noch bezwungen werden. Selbst die Vertreibung der Eindringlinge ist kaum absehbar. Im Gegenteil, denn die westlichen Staaten werden kriegsmüde und ihre Regierungen müssen sich von ihrer Bevölkerung fragen lassen, was eigentlich die Fortsetzung eines Krieges rechtfertigt, der kaum einen Sieger hervorbringen kann.
Um dem Krieg für sich entscheiden zu können, fehlt es der Ukraine an Soldaten und Material, da die Verbündeten keine Streitkräfte entsenden werden. Nach dem Rückzug der USA aus dem Unterstützerkreis wird die Ukraine auch diese unglaubliche Materialschlacht kaum mehr gewinnen können.
Dieser Tatsache muss sich die Ukraine und die westliche Welt stellen. In den Demokratien des Westens wird es im Angesicht der sozialen Verwerfungen und ökonomischen Krisen darüber hinaus immer schwerer die gewaltige Aufgabe der militärische Unterstützung für die Ukraine vor den Wählern und Steuerzahlern zu rechtfertigen. Hunderte Milliarden Euro für Kriegsgeräte, die umgehend wieder zerstört werden und deren Beschaffung jeden rechtlichen Rahmen sprengt.
Die steigenden Zustimmungswerte für kriegsmüde Parteien in Deutschland wie AfD, BSW und Linke zeigen, dass die Finanzierung der kriegerischen Auseinandersetzung in der Ukraine bei immer größeren Teilen der Wähler kaum mehr vermittelbar ist. Das um so mehr, als wegen der Verteidigung eines weit entfernten Landes im Gegenzug die eigene Bedrohungslage steigt, unser Sozialstaat geschliffen wird und für Infrastruktur, Bildung, Energieversorgung und für die Erhaltung einer lebenswerten Umwelt nun kein Geld mehr da sein soll, weil jetzt aber mal wirklich die Haushaltsrichtlinien eingehalten werden müssen.
Russlands Regierung braucht hingegen auf solche Empfindsamkeit keine Rücksicht nehmen. Zwar mag die Umstellung auf die Kriegswirtschaft langfristig zu einem Konsumverzicht der Bevölkerung führen, Widerstand wird von den russischen Sicherheitskräften aber rasch unterbunden. Für den Autokraten hat der Krieg andererseits Vorteile, weil er als extraterritoriales Problem Gefolgschaft bindet, Unterstützung mobilisiert und von internen Problemen ablenkt.
Putin hat riesige Mengen an Bodenschätzen zur Verfügung, für die er, trotz Embargo, auf dem Weltmarkt viele zahlungswillige Abnehmer findet. Er hat wesentlich größere Mengen von Rekruten zur Verfügung und kann darüber hinaus auch auf den Einsatz von Söldnern setzen, die für Geld kämpfen und damit ihre Familien unterhalten. Söldner werden nicht Fahnenflüchtig, während sich kriegstaugliche Ukrainer ins Ausland absetzen und damit die Wehrkraft mindern. Die Phalanx der wirtschaftlichen Isolierung Russlands war noch nie wirklich geschlossen und wird immer löchriger, was dem Aggressor ermöglich Unmengen an Waffen zu produzieren.
Putin kann daher gar nicht verlieren und seine Clique scheint fest im Sattel zu sitzen. Wir müssen uns viel mehr vergegenwärtigen, dass seine Waffenschmieden, einmal angeworfen, weiterhin Drohnen, Bomben, Raketen, Flugzeuge, Schiffe und Panzer produzieren werden, auch wenn der Ukrainekrieg beendet sein wird. Wer wird dann Adressat ihrer Bedrohung?
Putin zerstört die Weltordnung und agiert als Aggressor, womit er sich in unseren Augen ins Unrecht setzt und nach unseren ethischen Grundsätzen diesen Krieg niemals gewinnen darf. Wir wollen noch nicht wahrhaben, dass es aber letztendlich auch in gesamteuropäischen Interesse ist, dass dieser Krieg endet, den niemand gewinnen kann und dessen Fortsetzung niemandem einen Vorteil bringt. Die gewaltigen Mittel, um die Wunden dieses Krieges zu heilen sind kaum aufzubringen und es verbietet sich somit ein „weiter so“. Aber um welchen Preis?
Einen dauerhaften Frieden wird es erst geben, wenn die Konfliktparteien begreifen, dass ein Wiederaufleben des Krieges nur Verlierer kennt. Leider hat Europa es nicht verstanden sich zu ertüchtigen und sich dadurch am Verhandlungstisch der Mächtigen dieser Welt einen Platz zu sichern. Es lässt sich daher wohl nicht verhindern, dass Trump und Putin bilateral verhandeln und entscheiden.
Aber es ist dennoch vollkommen ausgeschlossen, dass sich die Regierung der Ukraine auf ein Abkommen einlassen wird, dessen Ergebnis diesen Staat und seine Bürger übervorteilt. Denn so schlecht ist die Lage auf dem Schlachtfeld noch nicht, dass Selenskyj nicht auch etwas verlangen könnten. Von entscheidender Bedeutung ist die Frage, welche Sicherheitsgarantien der Ukraine gegeben werden können und wer sie absichern soll. Die Nato? Wohl kaum, denn sollte der Waffenstillstand gebrochen werden, was ja durchaus im Bereich des Möglichen liegt, träte der Bündnisfall ein, den alle vermeiden wollen.
Nach dem unsäglichen Vorstoß von Trump scheint es noch unwahrscheinlicher, dass die von Russland eroberten Gebiete herausgegeben werden. Zudem Putin in Mariupol und anderen besetzten Orten Tatsachen schafft und die Verwaltung auf seine Bedürfnisse ausrichtet. Fachpersonal, Juristen, Ärzte, Lehrer werden aus den russischen Provinzen in die besetzten Gebiete entsandt, gewaltige Ressourcen für den Wiederaufbau mobilisiert, natürlich auch in der Erwartung, dass die Bewohner zurückkehren. Der Autokrat, Putin, könnte die Gebiete aber auch mit eigenen Bürger „russisch“ machen.
Ist ein Frieden mit territorialen Verlusten besser als ein Krieg ohne Ende und ohne Sieger?
Sind Zugeständnisse an Putin nicht geradezu Einladungen an andere Hegemonilamächte sich auf Kosten Anderer auszudehnen. Trump macht es den übrigen Autokraten leicht, wenn er seine Ansprüchen auf Grönland, den Panamakanal usw. als schlechtes Beispiel postuliert. Auch auf die Konflikte zwischen den Regionen im Kaukasus, die Stabilität Dagestans, das sich in ein Experimentierfeld des IS verwandeln könnte, die Arbeitsmigration nach Russland, von der Länder wie Tadschikistan und Armenien immer noch profitieren, könnten sich Auswirkungen ergeben. Europa würde davon nicht unberührt bleiben. Menschen, die vor den Bürgerkriegen fliehen, werden zu uns kommen. Besonnene Politiker sollten also nicht mit dem Feuer spielen, wie empört sie berechtigter Weise auch sein mögen. Andererseits darf man Autokraten auch nicht zu weiteren Gewalttaten ermuntern und ihnen in die Hände spielen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg fassten die Siegermächte den Entschluss, beide deutschen Staaten in eine neue und stabile Friedensordnung einzufügen. Sie wollten nicht den Fehler wiederholen, der mit dem Friedensvertrag von Versailles begangen worden war. Die Bundesrepublik und die DDR wurden in je eigene Friedensordnungen eingebunden, nicht aus ihnen ausgeschlossen, und die Bürger beider Staaten begriffen mit der Zeit, dass niemand einen Gewinn von der Entfachung eines neuen Krieges haben würde. Eine solche gegenseitige Bindung brauchen wir auch jetzt, wenn wir keinen neuen Krieg heraufbeschwören wollen. Nur wie könnte sie aussehen?
Russland ist nicht am Boden, so wie es das Deutsche Reich nach dem zweiten Weltkrieg war, deshalb muss eine zukünftige Friedensordnung eine sein, die Russland auf eine Weise einbindet, dass auch für Putin der Friedens-Profit größer ist, als die Lust an einer erneuten kriegerischen Auseinandersetzung. Genau das ist aber nach dem Krim-Krieg nicht geschehen und hat zu einem noch grausameren Krieg geführt.
Im Moment ist noch davon die Rede, Russland müsse geschwächt, destabilisiert werden. Am Ende aber wird Russland, selbst wenn es geschwächt werden sollte, nicht verschwinden, aber es steht zu befürchten, dass sich seine Eliten dann vom Gedanken der Rache und Vergeltung leiten lassen werden. Schon der Zerfall des sowjetischen Imperiums war mit unkalkulierbaren Risiken verbunden. Wir haben es Michail Gorbatschow zu verdanken, dass sich die Sowjetunion mehr oder weniger friedlich auflöste. Ob es auch jetzt so kommen würde? Daran gibt es berechtigte Zweifel. Der Zerfall Russlands und somit die Destabilisierung der Region wäre ein enormes Sicherheitsrisiko, nicht zuletzt auch wegen des gewaltigen (Atom-)Waffenpotentials. Staaten sind auch Friedensräume, wie unangenehm sie auch regiert werden mögen. Eindrucksvoll belegt an den vielen Beispielen des Autoritätsverfalls bei der Machtauflösung im arabischen und afrikanischen Raum.
Kein europäischer Staat kann ein Interesse an einer Destabilisierung der Region haben, und deshalb wird es einen dauerhaften Frieden nur mit und nicht ohne oder sogar gegen Russland geben. Russland muss, so unvorstellbar das momentan auch erscheinen mag, in eine Sicherheitsordnung eingebunden werden, die es seiner Regierung erleichtert, sich von imperialen Träumen zu verabschieden.
Putin ist ein Pokerspieler und Machtmensch, der weiß, welche Möglichkeiten sich ihm eröffnen und welche nicht. In jedem Fall werden er und seine Gefolgsleute diejenigen sein, die am anderen Ende des Verhandlungstisches sitzen werden. Wer etwas erreichen will, muss sich dieser Wirklichkeit stellen. Vielleicht besser jetzt das Momentum nutzen, wo Trump den Ball ins Rollen gebracht hat und die Ukraine noch nicht durch die Auflösung der Unterstützerallianz geschwächt ist und noch immer auf militärische Erfolge verweisen kann?
Oder doch ein erneutes Aufbäumen mit aller Macht?
Wer hat die besseren Karten und die besseren Ideen?
Putin und Trump glauben an gar nichts, außer an sich und ihren Erfolg. Beide sind Zyniker und Pragmatiker, die keinem guten Geschäft aus dem Weg gehen. Egal welchen Preis andere bezahlen müssen. Allerdings muss der Preis den die Ukraine und Europa zahlen müssen ebenfalls annehmbar und leistbar sein!
Welcher es sein wird und wie hoch er sein wird liegt einzig und alleine an unserer eigenen Stärke, mit der wir unser ureigenes Anliegen vertreten können. Wir haben uns schon zu lange in Sicherheit gewogen!
Quellen:
(1) Kölner StadtAnzeiger, vom 23.02.2025, Kommentar: Berliner Osteuropa-Historiker Jörg Baberowski
(2) https://www.oe24.at/welt/ukraine-krieg/teuerster-krieg-aller-zeiten-wie-viel-putin-der-ukraine-krieg-kostet/518497502
