Politik

Die USA erleben eine Putinisierung. Die Russen spotten darüber, dass die Amerikaner dem Wüten des Präsidenten nichts entgegenzusetzen wissen.

… und die Europäer nimmt keiner ernst, da wir uns bisher auch nicht ernst genug nehmen.

Die Russen seien eine Ausnahme unter den Völkern, schrieb 1828 der russische Philosoph Pjotr Tschaadajew. Sie existierten nur, um der Welt eine grosse Mahnung zu sein. Der russischen Gesellschaft attestierte er Gleichgültigkeit gegenüber Gut und Böse, gegenüber aller Wahrheit und aller Falschheit. Zugleich zeichne sie sich durch leichtsinnigen Wagemut und die erstaunliche Fähigkeit aus, alle Widrigkeiten des Lebens mit Leichtigkeit zu ertragen. Dies, so vermutete Tschaadajew, liege daran, dass in der russischen Gesellschaft die Gedanken von Pflicht, Gerechtigkeit, Recht und Ordnung fehlten, die er allesamt als dem Westen eigen ansah. 

Zweihundert Jahre später wirkt diese Analyse angesichts der politischen Entwicklungen in den USA verblüffend aktuell, spielen sich doch dort in Turbogeschwindigkeit Prozesse ab, die in Russland drei Jahrzehnte oder noch viel länger gedauert haben. Die russische Geschichte ist ein Lehrstück darüber, was mit Staat und Gesellschaft geschieht, wenn sie sich von den humanistischen Grundlagen der Demokratie verabschieden. Oder sich diese erst gar nicht aneignen wollen, auch weil der masslos idealisierte Westen die Russen permanent enttäuscht und in ihrem patriotischen Stolz bestätigt. 
Andere Staaten fühlen sich von dem Auftreten westlicher Staaten und insbesondere dem modernen Trump-Amerika maßlos ausgenutzt, ausgegrenzt und marginalisiert. In ihrer Hilfsbedürftigkeit fliehen deren verarmte Bürger aus ihren vom westlichen Konsumterror ausgemergelten Ländern und stehen vor hohen Zäunen und dicken realen und ideologischen Mauern.
Wen wundert es, wenn man sich mit diesen Erfahrungen anderen Weltmächten zuwendet? Zumal eine Demokratie für jeden der mit ihr zu tun hat anstrengend ist und durchgreifende Erfolge ihre Zeit brauchen.

Russische Schadenfreude 

Die Parallelen zu Russland sind so offensichtlich, dass sich regimekritische russische Intellektuelle gerade vor Schadenfreude überschlagen. „Die Westler haben uns Russen so gerne gesagt, dass wir auf die Strasse gehen und protestieren sollen, dass es unsere sklavische Natur sei, die uns daran hindere, Putin zu stürzen – und nun?“, spottet auf Facebook der Publizist Nikolai Epplée.

Da macht die Trump-Administration so viele Errungenschaften im Bereich der Bürgerrechte rückgängig, geht gegen Meinungs-, Wissenschafts- und Unternehmensfreiheit vor, säubert den Staatsapparat und droht Nachbarländern mit militärischer Gewalt – und wo bleibt der Widerstand? Das Argument der Amerikaner, sie würden erst auf die Strasse gehen, wenn die rechtsstaatlichen Mittel ausgeschöpft seien, wird mit Häme abgeschmettert. Die Reaktion der Amerikaner erinnert zu sehr an das Scheitern der russischen Demokratiebewegung, die jede Mitverantwortung für die Etablierung der Tyrannei von sich weist.

Man muss in Russland für den Krieg sein, darf ihn aber nicht so nennen. Auch dazu finden sich jetzt Parallelen in den Vereinigten Staaten, wo die Trump-Administration gegen Statistikdienste vorgeht und immer neue Begriffe für unerwünscht erklärt. 

Ob Krieg oder Spezialoperation, die Mehrheit der russischen Bevölkerung sieht Russland ohnehin als Sieger, sie interessiert sich bloss nicht für die Kriegsziele, wie auch immer sie der Kreml definiert. Dabei war die Einstellung zum Krieg in Russland schon einmal eine andere. Der erste Tschetschenienkrieg unter Boris Jelzin wurde noch stark kritisiert und war von Protesten begleitet. Damals fand die russische Führung die Zauberformel, die Putin perfektioniert hat und die heute international erfolgreich kopiert wird: jede noch so brisante Enthüllung ignorieren, jeden Vorwurf mit einer Lüge kontern und die Verantwortlichen gewähren lassen. Und dann sogar noch Wahlen gewinnen. Ein Schelm, wer dabei an Donald Trump denkt.
Mit jedem neuen russischen Krieg wurden die Gegenstimmen leiser und die Unterstützung für die Aggression grösser. Die Annexion der Krim 2014 löste in Russland chauvinistische Begeisterung aus, die Opposition zog weitgehend mit. Wichtige Figuren wie Alexei Nawalny oder Michail Chodorkowski erklärten die «Krim-Frage» für zweitrangig. Dennoch war die Ablehnung der Annexion für viele ein wichtiges Erkennungszeichen der Gleichgesinnten. 

Dies war wahrscheinlich einer der Gründe, warum so viele Ukrainer glaubten, dass die Vollinvasion im Februar 2022 grosse Proteste auslösen würde. Proteste gab es in der Tat, aber es waren Tausende, nicht Millionen, die gegen den Krieg auf die Strasse gingen, und so war es für das Regime ein Leichtes, diesen schwachen Widerstand mit drakonischer Härte zu ersticken. Man wird an diese russische Lektion erinnert, wenn Donald Trump immer wieder mitteilt, sich Kanada und Grönland aneignen zu wollen, und der grosse Aufschrei ausbleibt. Die «New York Times» ging sogar so weit, in einem Artikel die wahlpolitischen Nachteile einer Annexion Kanadas für die Republikanische Partei zu erörtern – anstatt sich die Frage zu stellen, ob in den USA, die imstande sind, Kanada anzugreifen, freie Wahlen überhaupt möglich wären.  

Damit schlug sie den gleichen Weg ein, der die unabhängigen russischen Medien auf Linie brachte, lange bevor die harte Zensur zuschlug. Das ist der Weg der kritischen Affirmation: Die wahnwitzigsten und rechtswidrigsten Unternehmungen der Macht so zu interpretieren, als seien die Absichten dahinter legitim und dienten irgendeinem, vielleicht nur falsch verstandenen nationalen Interesse. So wird die Willkür nach und nach normalisiert, bis selbst der Angriffskrieg gegen einen friedlichen Nachbarstaat nicht mehr als ein unverzeihliches, zum Himmel schreiendes Verbrechen, sondern allenfalls noch als politische Fehlentscheidung erscheint. 
Und die Gesellschaft ist schon so zermürbt von den Problemen, die die Regierung im eigenen Land verursacht, dass sie nur noch müde zuschaut. Ihr Empörungspotenzial ist bereits erschöpft, der Protest hat sich auf kleinere Themen verengt: Grundfreiheiten, Minderheitsrechte, soziale Sicherheit, Renten, Abtreibungen, Umweltschutz. 
Es gibt plötzlich so viel, wofür man kämpfen muss und dabei so wenig erreichen kann, dass man seine Energie lieber darauf fokussiert, wo man unmittelbar helfen und so das Gefühl der Ohnmacht überwinden kann: Hier sammelt man Geld für kranke Kinder, da für Alte, Veteranen oder Obdachlose. Und wieder erscheint die jüngste russische Vergangenheit wie ein Modell für die nahe amerikanische (und vielleicht auch europäische) Zukunft. 

Und noch eine Lektion, die Russland gerade der Welt erteilt: Die Verarmung grosser Teile der Gesellschaft ist für die Regierung kein Problem, sondern eine Ressource. Ab Mitte der Nuller Jahre wurde in Russland davor gewarnt, dass die Last der Verbraucherkredite und Hypotheken Millionen in den Bankrott treiben und den Staat destabilisieren werde. Der Krieg hat diese Krise auf einmal gelöst. Es erwies sich als viel leichter (und letztlich auch billiger), eine Söldnerarmee aus prekären und überschuldeten Menschen zu rekrutieren, als im grossen Stil zu mobilisieren. Selbst die hohen Verluste führen nicht zu Unruhen. 

Familien werden durch Gefallenenprämien ruhiggestellt, und während in entlegenen Regionen ganze Landstriche entvölkert und nichteuropäische Minderheiten an der Front verheizt werden, geht das Leben in den Grossstädten weiter, als wäre nichts geschehen. Nur dass man statt VW und Renault nun chinesische Neuwagen kauft und in die meisten europäischen Länder nicht mehr direkt fliegen kann, sondern über Belgrad oder Istanbul. Schon Tschaadajew schrieb, die Russen seien anpassungsfähig. 

Die politische Entwicklung in den Vereinigten Staaten ist somit höchst bedenklich und in Teilen sogar gefährlich, aber kein Grund für einen jubelnden Whataboutism, wie ihn gerade viele russische Regimekritiker betreiben. Sie selbst sind ein warnendes Beispiel dafür, wie bedeutungslos Diktaturgegner werden, wenn sie auf Gesellschaftskritik verzichten und sich mit Protesten zurückhalten. Die russische Gesellschaft hat sich in ihrer langen Geschichte dadurch ausgezeichnet, dass sie immer wieder tyrannische Herrschaftsformen hervorgebracht und anderen Völkern aufgezwungen hat. Vielleicht kann sie auch nicht anders. Aber sie ist natürlich nicht so einzigartig, dass nur sie auf diese Weise scheitern kann. 
Wir können nur hoffen, dass diese Zusammenhänge genügend Amerikanern rechtzeitig bewusst werden.

 

Putin wird Trump einfangen, einschüchtern und einseifen

Donald Trump ist für Putin ein chancenloser Gegner. Das Verhandlungsgeschick des russischen Präsidenten ist legendär. Das hat mit extrem guter Vorbereitung zu tun, aber auch mit Geduld.

«Zuallererst möchte ich mich mit Worten der Dankbarkeit an den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Herrn Trump, wenden», hofierte Wladimir Putin. «Dafür, dass er der Konfliktregelung in der Ukraine so viel Aufmerksamkeit widmet.» Der Danksagung vor der Presse aber folgte ein Putinsches Njet zum Waffenstillstandsangebot der Amerikaner: «Wir sind dafür, aber es gibt Nuancen.» Zu diesen Nuancen schwieg Putin erst zwei Tage lang. Dann entpuppten sie sich in einem siebenminütigen Monolog als harte Einwände gegen die Feuerpause. «Er reagierte wie aus einem Lehrbuch für den idealen russischen Unterhändler», kommentierte ein ehemaliger französischer Uno-Botschafter im Magazin «Le Point». 

Denn Langsamkeit, die Geduld der anderen zu strapazieren, gehörte schon zu den Prinzipien der sowjetischen Diplomatie. Dabei ist Putin kein Berufsdiplomat, er hat seine eigene Aussenpolitik entwickelt. Angela Merkel schildert in ihren Memoiren «Freiheit», wie sie und die anderen Staatsführer 2007 beim G-8-Gipfel an der deutschen Ostseeküste eine Dreiviertelstunde auf Putin warteten. Er grinste, als er auftauchte: «Du bist schuld – genauer gesagt, das Radeberger.» Die deutsche Kanzlerin hatte Putin einen Kasten seines Lieblingsbiers aufs Zimmer stellen lassen. Ihm sei nichts anderes übriggeblieben, als davon zu trinken, amüsierte er sich. 

Putin liess auch Queen Elizabeth 15 Minuten warten, Papst Franziskus 50 Minuten, den früheren ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch gar vier Stunden. Eine schlichte Methode, andere aus dem Gleichgewicht zu bringen, bevor überhaupt ein Wort gewechselt wurde. 

Eine ähnliche Strategie wandte er auch mit Merkel in Sotschi an. Dort liess Putin beim Fototermin vor den Gesprächen seinen Labrador Koni auflaufen, trotz einer Bitte des Kanzleramts, das Tier von Merkel fernzuhalten. Sie hat nach einem Biss Angst vor Hunden. Den Hausherrn beschreibt Merkel als jemanden, «der immer auf der Hut war, bloss nicht schlecht behandelt zu werden, und jederzeit bereit, auszuteilen, Machtspiele mit Hund und Andere-auf-sich-warten-Lassen inklusive». 

Während der Covid-Pandemie platzierte Putin mal Emmanuel Macron, mal Olaf Scholz am anderen Ende eines Sechs-Meter-Tisches im Kreml. Den ratlosen Scholz liess er später mit einem Sektglas in der Hand stehen, in einem leeren Saal mit halb geöffneter Tür. 

Aber Putin ist mehr als nur ein Antidiplomat. Er gilt als sehr engagierter Gesprächspartner, aufmerksamer und besser vorbereitet als viele westliche Staatsleute. «Er liest seine Dossiers, was nicht alle Politiker tun», erzählte der ehemalige britische Botschafter in Moskau, Tony Brenton. Wenn Putin etwas überrasche, verlasse er einfach den Raum, komme nach einer Weile zurück, oft selbst mit einem unerwarteten Vorschlag. 

Vor und hinter den Kulissen arbeiten dem 72-Jährigen diverse Berufsdiplomaten alter Sowjetschule mit teilweise jahrzehntelanger Berufserfahrung zu, vor allem Aussenminister Sergei Lawrow, 75, und Strategieberater Juri Uschakow, 78. Den meisten westlichen Aussenpolitikern, gerade jungen Quereinsteigern, sind sie weit überlegen. Sie folgen wie ihr Chef den vertrauten Denkmustern des Kalten Krieges – die Forderungen des Kremls sind allerdings deutlich dreister als zu Sowjetzeiten. Aber das kann verhandlungstaktisch nur von Nutzen sein.

Sehr dienstfertig sein kann er auch: Für Schröder organisierte er sogar Adoptivkinder.

Russlands Staatschef hatte es nach eigenen Berichten als Jugendlicher mit Hinterhofschlägern zu tun, als KGB-Offizier in Dresden mit rebellierenden DDR-Bürgern. Sein Handwerk war es, mit Leuten zu reden, um ihre Schwächen zu entdecken. Später palaverte er als Petersburger Stadtbeamter mit Geschäftsleuten und Unterweltbossen über Schmier- und Schutzgelder. Putin beherrscht sehr verschiedene Umgangstöne und Vokabulare. 

Beim G-8-Gipfel in Heiligendamm an der Ostsee kritisierte der französische Präsident Nicolas Sarkozy Putin unter vier Augen heftig wegen Menschenrechtsverletzungen in Russland, schreibt Nicolas Hénin in dem Buch «La France russe, enquête sur les réseaux Poutine». Putin habe Sarkozy gefragt, ob er fertig sei, ihn dann mit breiten Gesten und groben Worten überfahren: «Du hast zwei Möglichkeiten. Entweder sprichst du weiter in diesem Ton, dann werde ich dich zermalmen. Oder du änderst deine Meinung, und ich kann dich zum König von Europa machen.» 

Die Passage klingt bizarr. Aber auch Sarkozys Nachfolger François Hollande beschreibt, wie Putin beim 17-stündigen Minsker Waffenstillstands-Poker im Februar 2015 dem Ukrainer Petro Poroschenko schreiend drohte, dessen Truppen zu vernichten. Die Verhandlungen über das Abkommen Minsk II, das den seit 2014 in der Ostukraine herrschenden Krieg befrieden sollte, gelten als Paradestück der Putinschen Antidiplomatie. «Es war eine Zumutung», beschwert sich Merkel. Wochenlang habe der Kreml Termine verschoben, Verhandlungspapiere abgelehnt, sie umschreiben lassen. Auch als das Abkommen schon unterschriftsreif war, schob Putin den Waffenstillstand weiter heraus: Er wollte unbedingt noch die Donbass-Stadt Debalzewe erobern, die seine Kämpfer fast eingeschlossen hatten. Debalzewe fiel nicht, die Waffenruhe trat in Kraft, aber die Angriffe gingen noch vier Tage weiter, bis die Ukrainer die Stadt räumten. «Der Kreml bricht Vereinbarungen», sagt der Ex-Botschafter Brenton, «wenn er glaubt, dass sie nicht mehr in Russlands Interesse sind.» Tatsächlich war der Friedensplan Minsk II von Beginn an widersprüchlich. Aber Putin hatte Poroschenko gar nicht am Verhandlungstisch schachmatt gesetzt, sondern zuerst die militärischen Fakten geschaffen, die Kiew zum Nachgeben zwangen. 
Wem kommen die Parallelen zum derzeitigen Vorgehen denn nicht bekannt vor?

Der Kremlchef beherrscht auch die freundliche Miene. George Bush junior, ein Evangelikaler, schwärmte nach zwei Stunden mit Putin: «Ich habe ihm in die Augen geschaut und sah seine Seele.» Ihr Gespräch drehte sich offenbar um ein Kreuz, das Putin von seiner Mutter bekommen hatte und in Jerusalem segnen liess. Putin sei geradeheraus und vertrauenswürdig, sagte Bush. 

«Ein lupenreiner Demokrat», freute sich auch Gerhard Schröder. Vor seinem ersten Moskaubesuch hatte er verkündet, im Gegensatz zu Helmut Kohl werde er mit keinen Gastgebern ins Schwitzbad gehen. Kurz darauf fuhr ihn der charmante Wolodja Putin mit seiner Frau im Pferdeschlitten spazieren. Und Putin half dem Ehepaar, zwei Kinder aus einem Petersburger Waisenhaus zu adoptieren. Dabei umging man laut der Zeitung «Moskowski Komsomolez» eine Warteschlange von 11000 anderen deutschen Paaren. 

Der Bau der Ostseepipeline Nord Stream, Putins erster Ukraine-Umgehungsröhre, war unter Kanzler Schröder beschlossen worden. Und der mochte nach dem Ende seiner Amtszeit das Angebot des russischen Freundes nicht ablehnen, hochdotierter Aufsichtsratschef bei der Nord Stream AG zu werden. 

Einfangen, einschüchtern, einseifen – Putins Dialogtechniken sind berüchtigt. Er überschüttet sein Gegenüber mit Schmeicheleien, bei unangenehmen Fragen wechselt er das Thema. Das gilt auch für seine wachsende Neigung, die eigene Weltsicht in langen Geschichten mit einer Unmenge ungeprüfter Behauptungen auszubreiten. Vor dem amerikanischen Journalisten Tucker Carlson dozierte er 23 Minuten über die Vergangenheit der Ukraine. 

Trump einlullen 

Putins Taktik funktioniert auch bei Donald Trump. Bei ihrer ersten Begegnung am G-20-Gipfel in Hamburg war der Amerikaner nach zwei Stunden so angetan, dass er beim Dinner den japanischen Ministerpräsidenten sitzenliess und an Putins Tisch kam, um weiterzuplaudern. 

Nun fürchtet der Rest der freien Welt, Putin habe den weltpolitisch miserabel informierten Trump komplett um den Finger gewickelt. Der Amerikaner plappert seit Wochen die Narrative des russischen Gesinnungsgenossen nach. Er bat ihn gar um Gnade für Tausende ukrainische Soldaten, die laut Putin in der Region Kursk vor der Vernichtung stehen: ein kriegerischer Wunschtraum des Oberkommandierenden Putin. 

Bei internationalen Verhandlungen gewinnt in der Regel allerdings nicht der Gerissenere, sondern der Stärkere. Trump mag Putin, aber er braucht ihn nicht. Und er will, dass Putin Frieden macht. Nach ihrem jüngsten Telefonat blieb der vorher so euphorische Amerikaner wortkarg. Der erklärte Waffenstillstandsgegner Putin stimmte zumindest zu, vorübergehend keine ukrainischen Energieanlagen anzugreifen. Ob er sich in der Defensive fühlt oder nicht, Putin fängt wieder an, auf Zeit zu spielen.

 

Zitat Joschka Fischer: „Russland nimmt uns nicht ernst“
Als Joschka Fischer 2001 als Außenminister auf Putin traf, hielt dieser seine berühmte Rede im Bundestag: Auf Deutsch bot er Russlands Mitarbeit an einem „einheitlichen und sicheren Europa“ an. Am Ende bekam er – auch von Ihnen – Ovationen für diese „ausgestreckte Hand“. Eine Täuschung? Oder eine vertane Chance?

Mit der ausgestreckten Hand, die Putin anbot, verfolgte er vor allem das Ziel, Deutschland aus dem westlichen Bündnis herauszubrechen. Insofern wäre schon damals viel mehr Misstrauen angesagt gewesen. Denn die Westbindung war für Deutschland von entscheidender Bedeutung.

Die deutsche Russlandpolitik war aber lange auf idealistischer Grundlage aufgebaut – und insofern zum Scheitern verurteilt. Das wissen wir heute. Entscheidend ist nun, welche Konsequenzen wir daraus ziehen. Wir können uns diesen Idealismus nicht mehr erlauben. Die Welt ist eine andere, eine harte, machtpolitisch bestimmte. Darauf müssen wir uns einstellen.

Die Frage ist ganz konkret, nehmen die Russen uns ernst? Die Antwort ist Nein, die nehmen uns bis heute nicht ernst. Die Währung im Kreml heißt Macht, militärische Macht. Deshalb haben die Russen immer nur die Amerikaner und Chinesen ernst genommen. Mit der Vorstellung, „Wir müssen reden! Diplomatie!“ werden wir nichts erreichen, wenn sie nicht auf Macht gestützt ist. Spätestens seit 2022 sollte das auch die breite Öffentlichkeit erkannt haben.

Europa hat z.B. aus Angst vor Putins Atomdrohungen dessen rote Linien akzeptiert und etwa den ukrainischen Luftraum nie verteidigt. Es hätte stattdessen auf sein Arsenal verweisen können, um Putin einzuschüchtern. Dafür hätten aber Frankreich und Deutschland aufeinander zugehen müssen. Wir hätten das französische Angebot engerer Kooperation anders beantworten müssen als unter Merkel und Scholz. Dazu kam es nicht. Deshalb stehen wir nun da, wo wir stehen. Wobei selbst das vielleicht keine grundsätzliche Änderung bewirkt hätte. Dazu ist dieses Europa zu gespalten. Wir brauchen eine neue Form von Integration, wenn wir Eindruck machen wollen. Und Eindruck machen müssen wir!

Folgerichtig ist nach der Auffassung von Joschka Fischer eine EU-Armee unverzichtbar. Bislang gäbe es die EU nur für Wirtschaft und Handel. Künftig muss es ihr auch um Verteidigung gehen.

Ungarn und sein eventuelles Veto sind nach Fischers Meinung nicht das Problem. Ungarn ist zwar etwas lästig bei der europäischen Meinungsbildung, aber nicht von Bedeutung. Nein, die großen Europäer – Deutschland, Frankreich, Italien, Polen – müssen zueinander finden. Dann können wir was bewirken. Die deutsche Entscheidung über das Milliardenpaket war da wichtig und hat das Potenzial, die Lage wirklich zu verändern.

Das hieße nach Fischer aber auch, dass eine europäische Friedenstruppe, die eine Waffenruhe in der Ukraine absichern soll, natürlich mit deutschen Soldaten ausgestattet werden muss!

Die Idee, dass wirtschaftliche Verflechtung mit Russland eine militärische Konfrontation verhindert, hat sich als Illusion erwiesen. Es wäre also töricht, in diese Richtung weiterzugehen, was natürlich zukünftige wirtschaftliche Kontakte nicht ausschießt.

Europa muss zu einer geopolitischen Macht werden, um ernst genommen zu werden! Wir sind jetzt allein. Das Trump-Amerika ist nicht mehr unser Bündnispartner, wie die USA es traditionell waren. Also müssen wir jetzt für uns selbst sorgen.

Auch wenn Umfragen gegenüber massiver Aufrüstung eine große Skepsis bei den Wählern hervorruft und selbst Olaf Scholz deshalb immer mit Waffenlieferungen an die Ukraine zögerte, muss die politische Mitte aufstehen und bereit sind, auch die notwendigen Risiken einzugehen. Politische Führung bedeutet manchmal auch, das Richtige zu tun, obwohl es unpopulär ist. Wie Helmut Kohl mit der Einführung des Euro oder Gerhard Schröder mit der Agenda 2010.

Uns begegnet auch immer wieder diese Hoffnung auf eine diplomatische Lösung des Ukrainekonfliktes. Aber was ist Diplomatie ohne Macht? Das Geheimnis der Diplomatie ist nach Joschka Fischer die Macht, die im Hintergrund steht, um Druck auszuüben. Die war bisher bei Deutschland und Europa nicht vorhanden. Diese Rolle wäre eher China zugefallen – aber Peking hat die Chance im Ukrainekonflikt nicht ergriffen.

Wir müssen uns zudem darüber im Klaren sein, dass die transatlantische Partnerschaft ihren Glanz verloren hat. Trump ist weniger Freund und Beschützer als viel mehr der Kapitalist, der jede Chance ergreift, einen für ihn positiven Deal zu machen. Egal mit wem! Dabei geht es sowohl um die wirtschaftliche Vormachtstellung und die Sicherung von Ressourcen für die USA als auch die Unterdrückung von anderen Staaten, die sich ihm in den Weg stellen. Egal ob Freund oder Feind.
In letzter Zeit mehren sich zudem die Hinweise, dass es ihm ebenso um die eigene Bereicherung und die seiner engsten Mitstreiter geht. Wie anders muss man es deuten, wenn Trump zunächst exorbitante Zölle androht, die Börsen auf Grund dessen weltweit abstürzen, auf seinem Kanal zum Aktienkauf ermuntert und dann später die Zölle aussetzt, was wiederum einen Aktiensturm auslöste. Muss man da nicht schon sehr gutgläubig sein, um das als normales Vorgehen einzuordnen?

Und welche Rolle spielt China!
China war sich schon immer selbst am nächsten. Die US-amerikanischen Zölle werden dazu führen, dass chinesische Produkte auf dem US- Markt nicht mehr konkurrenzfähig sein werden. China wird andere Märkte suchen müssen und auch in Europa finden. Was das für uns bedeuten wird, hat die jüngste Vergangenheit gezeigt, als die europäische Solarindustrie auf Grund der chinesischen Billig-Importe zusammenbrach.
Das Vorgehen von Putin und die Reaktionen von Trump könnten China zudem ermutigen Taiwan zu überfallen. Von Europa hat es ja (noch) nichts zu befürchten.

Wie kann es weiter gehen?
Europa hat sich selbst ausbremste: Die europäische Verfassung ist gescheitert. Auch Deutschland ist mit seiner Weigerung, seinen militärischen Anteil zu bringen, schuld an der heutigen Lage. Und dann kam auch noch der Brexit. Europa hätte eigentlich seine eigene Handlungsfähigkeit verbessern müssen. Aber das war bisher nicht durchsetzbar gegen die nationalstaatlichen Interessen.

Wir müssen uns auf unsere Stärken besinnen und zu einer geopolitischen Macht werden. Es sollte aber keine Konfrontation wie im Kalten Krieg werden, sondern eine globale militärische, wirtschaftliche und ideologische Konkurrenz zu den Großmächten China, USA und Russland. Wenn wir da als Europäer mitspielen wollen, müssen wir unsere eigenen Interessen machtvoll vertreten. Wenn wir nicht auf unsere Stärke vertrauen und nicht in unsere nach wie vor vorhandenen Möglichkeiten investieren, werden wir kaum eine Zukunft haben. Dann werden wir nur Spielball der anderen Großmächte sein und zwischen ihnen zerrieben.

Wir stehen zudem alle vor weiteren globalen Problemen. Klimakatastrophe, Artensterben, Wegfall ausgebeuteter Ressourcen und zusätzlich, dass wir im Norden, vor allen Dingen in Europa, auf eine demographische Krise zurasen: Zu viele Alte und zu wenig Junge für die sozialen Sicherungssysteme und für die Produktivität. Im Süden der Welt herrscht gewaltiger Emigrationsdruck: wegen aktueller Konflikte, wegen der Folgen der Klimakrise. Also muss die Politik von morgen auch Antworten auf diese Probleme finden.
Wie will man die finden? Durch Kleinstaatereien, die Schließung der Grenzen, der Ablehnung von Fremden? Die aktuelle Politik muss praktikable und akzeptable Lösungen anbieten und muss die Mittel erwirtschaften, um den Strukturwandel bezahlen zu können. Diese muss man den Wählern und vor allem der heute aktiven Generation anbieten. Man muss die verunsicherte Bevölkerung mitnehmen und wieder für die Demokratie gewinnen.

Das geht alles nicht aus der Hängematte heraus. Wir müssen unsere Wirtschaft stärken, unsere Strukturprobleme auflösen und kraftvoll auftreten, aber auch unbedingt das Durchsetzungsvermögen beweisen, denn sonst wird der Auftritt das zur Farce.

Quellen:
NZZ, vom 22.03.2025
Gastkommentar von Nikolai Klimeniouk – Trump: Dass die USA gerade eine Putinisierung erleben, amüsiert die Russen
Weiterhin:
Kommentar von Von Stefan Scholl, Moskau – Einfangen, einschüchtern, einseifen
KStA, 07.04.25 – Interview von Steven Geyer mit Joschka Fischer – Russland nimmt uns nicht ernst