Nichts ist so konstant wie die Veränderung und nichts dabei wichtiger als eine wertschätzende Begleitung
Fast alle gesellschaftlichen Gruppen tun sich derzeit schwer, die aktuellen Anforderungen an unsere Gesellschaft neutral zu bewerten, das eigene Verhalten entsprechend anzupassen und die notwendigen Veränderungsprozesse einzufordern und genauso uneigennützig wie positiv zu begleiten.
Als interessierter Bürger hat man immer wieder den Eindruck, dass Politiker erst wieder wenige Wochen vor einer Wahl realisieren, dass sie ihre berufliche Existenz nur dem Wähler verdanken.
Man verfällt in Hektik und verspricht das Blaue vom Himmel, obwohl überall Gewitterwolken aufziehen. Getreu dem Motto:
„Wahlversprechen sind nicht einklagbar!“
Dem kann sich der informierter Wähler aber gut entziehen, indem er seine Stimme frühzeitig per Briefwahl abgibt und den traurigen Tanz um die Gunst der Wähler gelassen ignoriert.
Wähler wurden für die Parteien, offensichtlich vollkommen unerwartet, zu Protestwählern. Die Parteienlandschaft verändert sich dadurch dramatisch. Die ehemaligen Volksparteien verlieren dramatisch an Zustimmung und extreme und Kleinstparteien schießen aus dem Boden. Die größte Partei bilden die „Nichtwähler“. Was jedem Demokraten ein Dorn im Auge sein müsste.
In Folge dessen werden Mehrheitsbildungen und die sachbezogene, kontinuierliche Politik auf Grundlage der Freiheitlich Demokratischen Grundordnung immer schwieriger. Andere Länder mit zersplitterter Parteienlandschaft demonstrieren das seit geraumer Zeit und unsere Ampelregierung gab uns einen Vorgeschmack auf das, was noch kommen könnte. Vorschläge wurden zuletzt nicht ergebnisoffen diskutiert, sondern sie waren schon alleine deswegen schlecht, weil sie vom Regierungspartner kamen. Anstatt sich gemeinsam zu stärken haben sie sich gegenseitig geschwächt.
Diagnose 1: Chance vertan!
In ihrer Not warnen Politiker nun vehement vor ihrem politischen Mitbewerber und beschwören die Wähler „verantwortlich“ zu wählen, wenn sie das ihnen demokratisch verbriefte Recht ausüben, eine auf dem Wahlzettel vertretene Partei zu wählen. Man schiebt den Schwarzen Peter dem Wähler zu und negiert das eigene Versagen! Ein Verhalten, dass einen nahezu beschämenden Blick auf das (Nichts-)Tun und das Selbstverständnis der Parteigranden in den vorherigen Legislaturperioden wirft.
Etliche Legislaturperioden hätte man nämlich Zeit gehabt, die Wähler von sich selbst zu überzeugen, sich von den Demagogen abzusetzen und diese politisch bloßzustellen. Aber man hat, ganz im Gegenteil, Teile der Argumentation der Extremen hilflos übernommen und diese damit gesellschaftsfähig gemacht.
Man pflegte lieber seine Pfründe, kümmerte sich quasi nur nebenbei um die Demokratie, die Wähler, die kleinen und großen Katastrophen und die verunsicherten Bürger und wundert sich dann, wenn man bei der nächsten Wahl aus der Kurve fliegt.
Diagnose 2: Schon wieder … Chance vertan!
Ich zitiere Prof. Dr. Dr. Udo die Fabio (früherer Richter am BVerfG) aus der Zeitschrift DBB-Magazin, 05.2024:
„Wir brauchen wieder eine Politik aus einem Guss, die für mehr Kohärenz in Krisenzeiten sorgt. Die Krisen und die kriegerische Verwandlung der geopolitischen Ordnung zwingen dazu, vieles neu zu denken. Insofern ist der Begriff der Zeitenwende nicht nur verteidigungspolitisch gemeint und gewiss mehr als nur eine rehtorische Formel. Nachhaltigkeit ist eine kluge Überlegung nicht nur im Hinblick auf Umwelt und Klimaschutz, sondern auch, was die gesellschaftlichen und kulturellen Grundlagen eines Landes angeht. Bessere politische Bildung tut, glaube ich, not, aber auch eine Politik, die sich zu erklären versteht und die ohne Überschüsse von Ideologie die Rahmenbedingungen für Freiheit und Wohlstand sichert.“
Wissenschaftler, Presse und öffentliche Institutionen tun sich, genauso wie die Parteien, enorm schwer, dringend notwendige gesellschaftliche Veränderungen zu vermitteln und voranzutreiben.
Man wird jeden Tag damit berieselt, dass die Klimakatastrophe nicht mehr zu verhindern sei, sondern nur noch gemildert werden könne. Es wird berichtet, dass der politische showdown international wie national anstehen würde. Die Nachrichten quellen über von Schreckens-Szenarien der vielen Kriegsschauplätze und dem unglaublichen menschlichen Elend und den Verwüstungen durch immer öfter auftretende Umweltkatastrophen.
Der Bürger mag gar nicht mehr hinhören, hinsehen und … schaltet ab.
Aber kann das wirklich bereits alles gewesen sein, zu dem der homo sapiens angesichts der schrecklichen Ereignisse in der Lage ist? Die Konfrontation mit dem Elend anderer Menschen und dem zukünftigen Klima- und Umwelthorror-Szenario, als gruselige Nachmittags- und Abendunterhaltung?
Hier gibt es ein Versagen auf breiter Front.
Wo sind die praktischen Hilfestellungen für die Menschen?
Warum gibt es keine publikumswirksamen, regelmäßigen Umweltshows, -ratespiele oder Nudgingveranstaltungen zu prominenten Sendezeiten und an repräsentativen Stellen in Presse und anderen Medien?
Wo sind die regelmäßigen, öffentlichen Aufrufe von Politikern, Meinungsführern und alle den „Möchte-Gern-Intellektuellen“ zum verantwortlichen Handeln, denen dann aber auch jeweils wissenschaftlich fundierte, verständlich vorgetragene, vom Bürger umsetzbare, bezahlbare und somit wirkmächtige Handlungsempfehlungen beigefügt werden?
Wo ist die kluge Verleitung zu krisenkonformen Verhalten?
Wo ist der unbedingte wirtschaftliche und politische Umsetzungswille und wo sind die daraus resultierenden gut erklärten Handlungsanweisungen, nebst Realisierungshilfen?
Wo ist die konsequente und öffentliche Auseinandersetzung mit politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kräften, die im Bremserhäuschen des D-Zuges der notwendigen Veränderungen sitzen?
Ich dachte es sei bereits fünf nach zwölf und keine Zeit mehr für Spielchen!
Alle haben aber Angst davor, dem „mündigen Bürger“ reinen Wein einzuschenken. Die Protagonisten lavieren herum und wollen um alles in der Welt unbequeme Diskussionen und vor allem Festlegungen vermeiden. Sie merken dabei gar nicht, dass sie damit die Menschen überfordern und dass das Ende der Sackgasse zum Greifen nahe ist!
Die Menschen brauchen greifbare Ziele, die in ihrem Erlebnishorizont erreichbar sind und nicht das große Desaster, dass kaum mehr zu bewältigen ist!
Menschen brauchen nachvollziehbare Erklärungen, um einigermaßen bereitwillig unbequemen Änderungen ihrer Lebensweise zu folgen.. Kadavergehorsam kann keiner von seinem Gegenüber und potentiellen Wähler verlangen!
Menschen brauchen Hoffnung, Motivation und keinen Fatalismus, um handlungsfähig zu sein!
Menschen müssen auf dem Weg in eine unsichere Zukunft mitgenommen werden und sie müssen sich in der Lösung wiederfinden. Sonst glauben sie lieber irgendwelchen Demagogen und Zynikern, die für komplexe Probleme einfache Lösungen versprechen!
Wenn das beachtet wird, muss man sich nur noch von darüber klar werden, dass uns stringente Ideologienhörigkeiten nicht weiterhelfen.
Alles, was uns hilft die Katastrophen abzuwenden oder auch nur zu mildern, muss erlaubt, positiv begleitet und gefördert werden!
Exemplarisch möchte ich Key Scheller, Präsident des Bundesrechnungshofes, zitieren: „Die Energiewende ist wesentlich für das Erreichend der Klimaschutzziele. Klimaschutz ist jedoch nicht immer automatisch Naturschutz. So besteht eine Herausforderung darin, den Naturraum und die Ökosysteme nicht mehr als nötig zu beeinträchtigen.“
Übertragen gilt das für alle Bereiche des Handelns! Jede Veränderung birgt Risiken und Chancen. Nichtstun birgt aber derzeit nur Risiken!
Vielleicht kommen wir in der derzeitigen Gemengelage und bei der Europa-Wahl noch mit einem blauen Auge davon und haben eine weitere Chance.
Diagnose 3: Die Hoffnung stirbt zuletzt!
