Religionen … Fortführung_1

Ethik – Stützpfeiler für das gesellschaftliche Zusammenleben, aber wo fängt die Bevormundung an

 Jeder Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich ethische Rahmenbedingungen gibt. Diese sind in vielen Kulturen unterschiedlich ausgeprägt. Sie unterliegen einer räumlichen und zeitlichen Wandlung. Ethische Grundsätze sind nicht absolut.

 Wir leben im Deutschland des 21. Jahrhunderts in einer Welt, die durch die freiheitlich demokratische Grundordnung geprägt ist. Die Wissenschaften haben viel zur Aufklärung beigetragen, sodass kaum noch eine Notwendigkeit besteht, die sicherlich immer noch vorhandenen Wissenslücken metaphysisch füllen zu müssen. Das sieht in anderen Regionen der Welt (USA, China, Russland, Nordkorea usw.) anders aus.

Trotzdem ist die Denkweise der Mitmenschen maximal differenziert und schließt z.B. sowohl kreatonistisch wie auch darwinistisch geprägte Ansichten von der Entwicklung der Arten und somit auch der menschlichen Spezies ein. Sie umschließt Gottgläubige und Säkulare genauso, wie Verschwörungstheoretiker oder Wissenschaftler und offene Demokraten, Kommunisten oder Kapitalisten und etliche andere Ausformungen.

Aus unserem, die Menschenrechte zugrunde legenden Selbstverständnis gestehen wir aber jedem Menschen die gleichen Rechte zu, auch wenn dessen Vorstellungen von einem erstrebenswerten Leben von unseren eigenen abweichen.

 Aus diesen Gründen ist es vergleichsweise schwierig allgemeinverbindliche ethische Grundsätze zu verfassen. Selbst die im Deutschen Grundgesetz verfassten Minimalregeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens werden von vielen Seiten in Frage gestellt, verwässert oder durch rechtlich abgesicherte Abläufe im Zeichen der Zeit konkretisiert.

 Auf dieser Grundlage sind sicherlich pietätvolle Gedanken aufgrund des Ablebens des

Menschen, Papst Franziskus, angebracht. Als Repräsentant einer Gemeinschaft von Menschen, die erzkonservative Ideen verfolgen und die für eine Vielzahl von Verbrechen an der Menschheit schuldig war und immer noch ist (1), stehe ich dem Wechsel des Funktionsträgers zunächst verhalten positiv gegenüber. Die Möglichkeiten der Änderung der aktuellen kirchlichen Doktrin durch einen anderen Papst erfüllt mich, vielleicht naiverweise, mit etwas Hoffnung, dass diese erzkonservative und zurückgewandte Sichtweise der katholischen Kirche zumindest abgemildert werden könnte. Wohl wissend, dass ebenso eine noch konservativere Denkrichtung Platz greifen könnte.

 Die rein klerikale Auslegung eines ethischen und moralischen Lebens findet, neben der direkten Einflussnahme auf die Gläubigen, auch durch ausgeprägte Lobbyarbeit (2) in diversen Gremien sowohl in die politische als auch in die gesellschaftliche Meinungsbildung Eingang (3). Sie trifft dabei auf eine religionsaffine Gesellschaftsgruppe konservativer und/oder religiös ausgerichteter Politiker, die offensichtlich lieber einen Kirchentag „einweihen“ als sich auf religionskritische Tagungen zu „verlaufen“ (4). Auch nachdem die Mehrheit der deutschen Bevölkerung nicht mehr religiös ausgerichtet ist, gelten die Kirchen als „gesellschaftlich relevante Gruppe“. Die Säkularen haben es bisher leider nicht verstanden sich entsprechend zu organisieren und angemessen Gehör zu verschaffen.

 Daneben steht der Bundesregierung zur Meinungsbildung auch ein Ethikrat (5) beratend zur Verfügung.   

Ich habe durchaus Respekt vor dessen Leistung und z.B. der, von  Frau Professor Buyx, als ehemaliger Vorsitzenden des Ethikrates, die in der Wochenendausgabe des Kölner StadtAnzeigers, vom 20.04.2025, zu Ethikfragen interviewt wurde. Dort hat sie aber einige für mich nicht konsensfähige Ausführungen aufgestellt, auch wenn diese in einschlägigen Kreisen typischerweise anerkannt sein mögen.

 Eltern, die Embryonen mit pränatal nachgewiesener Behinderung abtreiben lassen, so die These des Interviewers, könnten zu einer Kränkung von Menschen mit Behinderung beitragen.

Das bestätigt Frau Buyx und führt aus: 

››Wer sich in einem solchen Fall für den Schwangerschaftsabbruch entscheidet, macht zunächst lediglich Gebrauch von seinem Recht auf reproduktiver Selbstbestimmung. Aber wenn … immer weniger Kinder mit bestimmten Behinderungen geboren werden, kann das dazu führen, dass Menschen mit Behinderung und ihre Familien stärker stigmatisiert werden. Eltern von Kindern mit Behinderung werden ja durchaus mal gefragt: „Warum haben Sie das denn nicht verhindert? Das wäre ja nun wirklich nicht nötig gewesen.“‹‹

Diese Argumentation entzieht allen Bemühungen der modernen Medizin ihre ethische Legitimation. Auf andere Bereiche angewendet hieße es, dass man keine Empfehlungen geben dürfe, wie man seine Gesundheit fördert und erhält (wozu sie an anderer Stelle des Interviews selbst auffordert), weil dadurch ungesund lebende und daher früher versterbende Menschen und deren Angehörige stigmatisiert werden könnten. Wie würde man denn dann die Ansprache durch die Krankenkasse an die Versicherten und der Ärzte, sich gesünder zu ernähren und Sport zu treiben, werten müssen?

Ich weiß, dass diese Sichtweise in einigen „woken“ Bevölkerungskreisen weit verbreitet ist, nach der z.B. die öffentliche Darstellung schlanker Personen den übergewichtigen Bevölkerungsanteil stigmatisieren und herabsetzen könnte.

Auch wenn es natürlich und für das Überleben der Menschheit unabdingbar ist, Kinder in die Welt zu setzen und es für manche Menschen eine moralische Verpflichtung darstellen könnte das zu tun, ist es nach heutigem Stand des medizinischen Wissens und der familienplanerischen Möglichkeiten eine zunächst sehr egoistische Entscheidung einen Kinderwunsch zu realisieren oder auch nicht.

Man kann es nicht wegdiskutieren: Menschen wollen aus irgendeinem Antrieb Eltern werden und zeugen daher Kinder. Es sind niemals die Kinder, die gezeugt werden wollen, bevor sie sich ihrer Existenz bewusst sind!

 Wir haben uns, spätestens nach der Verbreitung der Verhütungspille, vom ungezügelten Vermehrungszwang befreit. Vor diesem Hintergrund ist der nächste Schritt, auch pränatal Gesundheitsrisiken abzuwägen und ggf. geeignete Maßnahmen zu ergreifen, nur folgerichtig und eine eher wichtige Aufgabe verantwortungsvoller Eltern. Darüber hinaus ist es doch nahezu verwerflich, vor der Geburt bekannte schwere Gesundheitsgefahren und Behinderungen zu ignorieren, um dann nach der Geburt alle nur erdenklichen Maßnahmen zu ergreifen, um eine dann bereits eingetretene Erkrankung oder Behinderung nachträglich zu bekämpfen. Oft ist das sehr aufwendig und mit Schmerzen verbunden. Manchmal bleibt nur eine unbestimmte Linderung, weil eine Beseitigung unmöglich ist, und man entlässt diese Menschen dann in ihr beschwerliches Leben.

Auch wenn es zur pränatalen Abtötung des geschädigten Embryos führen könnte, sehe ich nahezu eine Verpflichtung schwerste gesundheitliche Nachteile bestmöglich zu verhindern.

Es darf gerne diskutiert werden, bis zu welchem Zeitpunkt die Entscheidungshoheit der Eltern über der des werdenden Lebens steht.

Mir ist klar, dass hier gerne das Gespenst des „wir sollten nicht Gott spielen“ hervorgeholt wird und am Ende meiner Argumentationskette ein mehr oder weniger ausgeprägtes menschliches Design stehen könnte. Abgesehen davon, dass ich die Existenz eines Gottes abstreite, sei die Frage erlaubt: Worin besteht der Unterschied zwischen natürlicher und menschlich herbeigeführter Selektion? Die natürliche Selektion nach Überlebensvorteilen haben wir aufgrund unserer humanistischen Weltanschauung und medizinischer Möglichkeiten quasi beendet oder sogar umgekehrt, indem wir jedes Leben, auch das, das früher nicht überlebensfähig gewesen wäre, bestenfalls bis zur Zeugungsfähigkeit verlängert und unsere Erbmasse dadurch beeinflussen lassen. Damit haben wir viel mehr Gott gespielt, als etliche Mitmenschen wahrhaben wollen.

Die Segnungen der modernen Medizin haben also bereits heute unkalkulierbare Risiken für unser Erbgut entstehen lassen! Die Auswirkungen dieser Eingriffe in die natürlichen Abläufe müssen wir dann ggf. aber auch pränatal neutralisieren können, wenn das nach dem Stand der Medizin und Technik möglich und mit einem vertretbaren Risiko einhergeht! Hier wäre der Ethikrat ganz bestimmt aufgerufen, zusammen mit Medizinern ein Konzept zu entwickeln und nicht Ängste zu schüren.

Irrigerweise sind heute aber immer noch weite Teile der Bevölkerung von dem Gedanken beseelt, dass der heutige Mensch die unveränderliche und endgültige Krone der Schöpfung sei. Und das aus einem klerikal geförderten kreationistischen Weltbild.

Was für eine Anmaßung, Angesicht dessen, wie sich unserer wunderbaren Natur innerhalb vieler Milliarden Jahre evolutionär entwickelt hat.

 Bei allen Entscheidungen, die man im Laufe seines Lebens trifft, so auch hier, ist man höchstpersönlich für deren Folgen verantwortlich ist. Auch wenn es manchmal unangenehm ist.

Dann muss man auch die Zivilcourage besitzen und dazu stehen. Im Falle einer Abtreibung diese auch vertreten oder im Falle einer wissentlichen Geburt eines schwer kranken oder behinderten Kindes ebenso. Dazu würde dann aber auch gehören, diesem Kind später zu erklären, dass man damals bewusst so gehandelt habe, auch wenn das für das Leben des Kindes schwerwiegende Folgen hatte!

Ich möchte meinem Kind so etwas nicht erklären müssen, denn welcher selbstsüchtige oder metaphysische Grund könnte das wirklich rechtfertigen.

 Die von Frau Buyx angesprochene Stigmatisierungsproblematik sehe ich daher nicht als so großes Problem, außer wenn unverbesserliche Menschen absichtlich anderen Schaden zufügen wollen.

Ich würde gerne wissen, wo Frau Professor Buyx die Grenze setzen möchte. Gilt ihr „Stigmatisierungsschutz“ auch für die Eltern, die ihren Kindern aus Glaubensgründen eine Bluttransfusion verweigern? Übertragen hieße das, dass Eltern, die ihren Kindern z.B. bei Blutkrebs eine Bluttransfusion ermöglichen, die Verweigerer stigmatisieren würden.

Ich glaube das macht die Absurdität ihrer Argumentation und die Verdrehung der Schutzinteressen überdeutlich!

 Ebenso erschrecken mich immer wieder die Argumentationen bezüglich der aktiven Sterbehilfe, wenn auch Frau Prof. Buyx behauptet, dass wir in Deutschland, salopp gesagt, im Gegensatz zu den Bürgern in Belgien, Schweiz und Niederlanden nicht in der Lage seien mit der Sterbehilfe umgehen zu können. Man müsse nur den Tod „angenehmer“ machen und eine Patientenverfügung verfassen, dann sei ja alles gut.

Ich hätte das für mich gerne anders geregelt. Das Bundesverfassungsgericht hat mir das Recht auf einen selbstbestimmten Tod zugestanden. Dieses Recht möchte ich auch endlich in unserer Rechtsordnung umgesetzt wissen. Niemand soll einen Arzt oder Sterbewilligen drängen, aber jeder soll diesen Notausgang ohne moralisch verbrämte Hindernisse betreten können.

Diese ewigen Verweise auf frühere Euthanasie-Verbrechen sind weit aus der Zeit gefallen. Mir zwingt sich aber der Vergleich mit den Protestkorridoren von Schwangerschaftsabbruchgegnern vor entsprechenden Kliniken auf, die glücklicherweise mittlerweile verboten sind.

 Ethik ist wandelbar und muss immer wieder neu im Lichte der Zeit betrachtet werden. Was damals gut war, muss heute nicht unbedingt immer noch gut sein. Ethische Grundsätze sollten Leitplanken für ein gesellschaftliches zusammenleben sein, nicht aber ein Korsett, dass jeglichen Wandel und Neuausrichtung verhindert.

Vor diesem Hintergrund haben alle die, die sich öffentlichkeitswirksam mit Ethik und Moral auseinandersetzen eine besondere, nach vorne gerichtete Verantwortung. Bloßes Festhalten an jahrhundertalte Dogmen bringen da nicht weiter, ebensowenig wie kritikloses Hinterherhecheln aller theoretisch denkbarer Neuerungen.
Es bedarf eines Risikomanagements, dass Vorteile und Nachteile für die Gesellschaft abwägt.

 Quellen:

(1) https://hpd.de/artikel/wolf-im-schafspelz-23018

(2) https://www.evangelisch.de/inhalte/128215/10-11-2015/studie-kirchen-gehoeren-zu-den-groessten-lobbyisten

(3) https://www.pro-medienmagazin.de/in-deutschland-sprechen-politiker-offen-ueber-ihre-religion/

(4) https://www.evangelisch.de/inhalte/136652/22-07-2016/mehrheit-deutscher-regierungsmitglieder-gehoert-einer-kirche

(5) https://www.ethikrat.org/ueber-uns/der-ethikrat/