Sterbehilfe

Reaktion auf ein Streitgespräch zwischen Herrn Lars Castellucci, Beauftragter für Kirchen- und Religionsangelegenheiten der SPD, Dr. Mathias Thuns (Palliativarzt) und Frau Steckmann (Schwersterkrankte), im Stern, 02.03.2023

Erschreckender Weise stellt sich Herr Castellucci während des gesamten Gesprächs als Verteidiger kirchlich-konservativ geprägter Wertvorstellungen dar und nicht als Vermittler einer modernen, humanen geprägten Lebenseinstellung und emphatischer Mitgefühle, für am Leben verzweifelnder Mitmenschen in das reaktionäre kirchliche Weltbild. Hier stellt sich die bange Frage, was denn dann in noch konservativeren Parteien für Meinungsbilder vorhersehen mögen.
Es wird überdeutlich, dass immer noch viel zu viele Vertreter dieser überkommenen Denkrichtung an den Schalthebeln unserer Gesellschaft sitzen und sich Ihrer Machtstellung als „gesellschaftlich relevante Gruppe“ erfreuen, die sie nach den jüngsten Kirchenaustrittswellen wohl eher nicht mehr sind. Um das in das Bewusstsein der Bevölkerung zu transportieren, bedarf es noch viel Aufklärung. Hier sind alle säkularen Kräfte gefragt.
Herr Catellucci bedient gebetsmühlenartig durch nichts empirisch belegten Befürchtungen, dass labile Menschen durch irgendwelche Interessierte in den Tot gedrängt werden könnten, wenn der assistierte Suizid legalisiert werden würde. Dabei gibt es etliche Länder, in denen Sterbehilfe ermöglicht wird und von dort werden solche Phänomene nicht ebenso problematisiert.
Er geht in keiner Weise auf die Einlassungen von Dr. Thöns ein, dass es eher die gebildeten und informierten Gesellschaftsschichten sind, die sich um eine Sterbehilfe bemühen und es erfahrungsgemäß nicht situationsbedingte Kurzschlussreaktionen von unreflektierten Menschen sind, die einer Modeerscheinung hinterherlaufen.
Seine Befürchtungen, dass Menschen sich moralisch verpflichtet fühlten zu sterben und den Nachkommen nicht zur Last zu fallen, gehen auch hier und insbesondere bei der selbst betroffenen Gesprächspartnerin, Frau Steckmann, ganz offensichtlich ins Leere. Der Möglichkeit sich mit dem Tod in einer Patientenverfügung und einer Lebens-Wertebeschreibung rechtzeitig auseinanderzusetzen misst er keine Beachtung bei.

Er ist anscheinend nicht in der Lage nachzuvollziehen, dass Menschen ein anderes Lebensziel verfolgen, als eine noch so fragwürdige Lebensverlängerung.
Hier geht es um wohl überlegte humanistisch geprägte Willensbildungen frei denkender Menschen, die ausdrücklich vom BVerfG unterstützt wird, aber sich in erzkonservativen und klerikal geprägten Gesellschaftsschichten als Schreckensszenarien einer aufgeklärten Welt darstellen, die bestehende Machtstrukturen und Ordnungssysteme in Frage stellen.

Er schreckt nicht davor zurück seine realitätsfernen Vorschläge zu wiederholen, dass der Patient sich als sterbenskranker Mensch auf eine Reise, mit unbestimmten Ausgang, zu mehreren Psychologen und Ärzten begeben muss, um seiner unmenschlichen Lebenspein ein Ende bereiten zu können.

Es sieht so aus, als wenn die SPD mit ihm im konservativen Lager, auf Kosten schwer verletzter Menschen, Wählerstimmen fischen wollten. Wie menschenverachtend ist das?
Auch für mich wäre es ein unendlich tröstlicher Gedanke, wenn ich wüsste, aus jeder noch so schrecklichen Lebenslage einen Notausgang zu haben, den ich tatsächlich nicht gehen müsste, aber gehen könnte.

Der Politiker Castellucci vergisst zudem, dass er es mit einer rasant alternden, aufgeklärten Bevölkerung zu tun hat, für die die (Schreckens-)Szenarien eines fremdbestimmten Sterbens bald Wirklichkeit werden könnten.