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Warum fällt es uns so schwer, gegen den Klimawandel vorzugehen?

(Der Soziologe Jens Beckert hat Antworten, Welt am Sonntag vom 07.04.2024)

Klimawandel, für die meisten bestenfalls ein Thema für Natur- und Ingenieurwissenschaften, Politik und oft auch für grüne Spinner.

Auch die besten Lösungen für die Probleme unserer Zeit müssen von Menschen verstanden, akzeptiert, angewendet und weitergegeben werden. Jede Änderung in der Lebensweise ist mit Verlustängsten verbunden, die Trägheit der Menschen fördert ein enormes Beharrungsvermögen und man verweigert sich der Einsicht, dass der in Köln so beliebte Satz „Et hät noch immer jot jejange!“ eben nicht mehr stimmt.

Die auf uns zukommenden Veränderungen zwingen uns, dass wir uns auf enorme soziale Verwerfungen und Vermögensverluste einstellen müssen. Viele lieb gewonnenen Wohlstandserrungenschaften werden der Vergangenheit angehören. Das Versprechen an die nachfolgende Generation, dass es ihnen später mal besser gehen wird, hat so keine Gültigkeit mehr.

Erste Auswirkungen sind bereits zu spüren. Die Generation „Z“ hat sich bereits von der selbstverständlichen Leistungsbereitschaft der Boomer krachend verabschiedet und weite Teile der Bevölkerung fühlen sich von der Wohlstandsgesellschaft abgehängt.
Kriege, Umweltkatastrophen, Pandemien und sonstige Desaster haben den Glauben in die eigene Zukunft stark erschüttert. Norbert Blüms Versprechen – Die Renten sind sicher! – verursacht bei Ihnen bestenfalls noch ein müdes Lächeln.
Jetzt sollen sie auch noch auf Fleisch verzichten, Urlaubsreisen einschränken, Konsumverzicht leisten und Blümchen zählen.
Warum?! Wenn doch sowieso alles den Bach runter geht, nur noch Erben größerer Vermögen ein Haus erwerben können und sich Gedanken über Wärmepumpen, Solaranlagen usw. machen müssen. Eine Ladestation für ein sowieso viel zu teures E-Auto ist in einem innerstädtischen Mehrfamilienhaus in so weiter Ferne, dass der Verbrenner wieder Furore macht und wen kümmert schon der Urwald in Brasilien oder der letzte sibirische Tiger. Bei uns werden doch auch alle wilden Eindringlinge (Wölfe & Co.) sofort abgeballert.
So what?

Leider kann sich keiner aus dem uns allen drohenden Szenarien verabschieden. Die direkten Folgen der Pandemie sind ziemlich im Griff, jetzt müssen wir uns um die Nachwirkungen kümmern. Die Kriege, insbesondere der in Europa, wird uns noch lange beschäftigen und wirtschaftlich belasten und es geht leider nicht mehr um die Verhinderung der Klimakatastrophe. Es kann nur noch darum gehen, wie wir uns auf diese drohenden Szenarien bestmöglich einstellen und welche Vorkehrungen zu treffen sind, damit sie uns und vor allem unsere Kinder nicht vollends von den Beinen hauen! Wir steuern klimatechnisch auf eine durchschnittliche Erwärmung von 2,5 – 3 Grad zu. Das scheint ziemlich sicher zu sein. Alle anderen Szenarien, wie Begrenzung auf 1,5 Grad sind eher nur noch Makulatur und Schönredereien von Halbgebildeten!

Was zu tun ist wissen wir. Einführung einer Kreislaufwirtschaft, Reduzierung der Verbrennung fossiler Brennstoffe, Wiedervernässung unserer Moore, Erhalt und Aufforstung unserer Wälder, Beendigung der Ausrottung ganzer Arten und die Einstellung der Zerstörungen unserer Habitate auf dem Land in der Luft und im Wasser durch Rodungen, Überdüngung, Emissionen. Weitgehende Umstellung auf vegane Ernährung, Beachtung des Tierwohls usw. Darüber hinaus müssen wir uns gut auf Extremwetterereignisse, wie Starkregen, Überschwemmungen, Dürren, Hitze, Ausbreitung bisher regional stark gebundener Krankheitserreger usw. einstellen.
Und … alles wird uns allen sehr, sehr viel Geld kosten, dass wir, wie immer, durch unsere Arbeit zunächst einmal erwirtschaften müssen. Ob da die 35-Stunden-Woche beim vorherrschenden Fachkräftemangel der Königsweg ist, mag ein anderer entscheiden.

Aber wir werden nicht plötzlich vor dem Chaos stehen, sondern dieser kontinuierliche Prozess wird sich etwas hinziehen. Wir müssen also nicht verzweifeln und wie die Lemminge über die Klippe springen.
Zweifellos werden in manchen Regionen der Welt die Lebensbedingungen schneller kippen als bei uns. Wir werden uns auf stärkere Migrationsbewegungen einstellen müssen und im Extremfall auf Verteilungskämpfe.

Das heißt, wir müssen unsere Gesellschaft fit machen für diese Szenarien. Wir stehen vor der Herkulesaufgabe alle Menschen Politiker, alle gesellschaftlich relevanten Gruppen, Wissenschaftler, Wirtschaft, Verwaltung und Bildungseinrichtungen, aber auch Familien und Einzelpersonen in diesen Prozess einzubinden und mitzunehmen.
Auch wenn es manchem nicht einsichtig ist, jedes zehntel Grad, dass sich die durchschnittliche Temperatur nicht erhöht lindert den Leidensdruck späterer Generationen.

Spätestens hier kommen dann die Sozialwissenschaften ins Spiel. Denn diese beschäftigen sich mit Prozessen des sozialen Wandels.
Wir wissen z.B. schon heute, dass die Akzeptanz von Windkrafträdern steigt, wenn die Anwohner an den Erträgen dieser Gräte beteiligt werden.
Es bedarf also der Analyse der Hinderungsgründe warum das umweltgerechte Handeln nur so stockend in die Gänge kommt. Daraus müssen sich Handlungsempfehlungen an die beteiligten Akteure ergeben, die auch für die jeweilige Gruppe den möglichen „Gewinn“ aufzeigen. Denn die Wirtschaft will monetäre Gewinne erzielen, der Politiker will die nächste Wahl wieder gewinnen und der Private will eine Perspektive für sein Wohlergehen in der Gegenwart und der Zukunft haben.

Es bedarf eines Stufenplans, nachdem zunächst die Maßnahmen mit den geringsten negativen Auswirkungen auf die Ziele der Beteiligten aufgezeigt werden. Dann muss man analysieren, wie weit das zur Zielerreichung beiträgt. Dann müssen weitere Maßnahmen herangezogen werden. Dabei darf es keine Ideologischen Einbahnstraßen geben. Alles ist gut, wenn es nur genug hilft und von den Beteiligten akzeptiert wird. Natürlich steht die Abfall-, Co2 und Schmutzvermeidung zunächst an erster Stelle, aber auch die Einlagerung von wieder entnommenen CO2 unter der Erde usw.
Dabei müssen alle Beteiligtengruppen empirisch eingebunden, gehört und informiert werden.

Es wird hohe Zeit, dass wir diese gemeinschaftliche Kraftanstrengung mit der gebotenen Verve angehen.