Die Entscheidung für ein Leben ohne Kinder
(Quelle: Die Welt, 07.01.2025, Sabine Menkens und eigene Gedanken)
Viele junge Frauen legen sich heute früh darauf fest, keinen Nachwuchs zu bekommen – und vertreten dies selbstbewusst. Forscher sind überrascht
Kinderlose Frauen kennen das alles. Die abschätzenden Blicke des Umfelds. Die stets gleichen Fragen, ob es denn nicht gehen würde, ob es denn bald soweit sei. Die matronenhaften Ratschläge, dass sie erst mal 30 werden solle, dann würde sich der Kinderwunsch schon melden und man solle der Natur doch ihren Lauf lassen. Doch bei vielen Frauen meldete sich da gar nichts. Stattdessen ist da recht früh die klare Erkenntnis: „Ich will das nicht. Und zwar nicht nur jetzt nicht, sondern nie.“ Und der Wunsch von „gut gemeinten Ratschlägen“ nun endlich verschont zu bleiben..
Frauen und Paare, die noch unentschlossen sind oder das Gefühl haben, sich gesellschaftlichen Normen zu widersetzen, wenn sie sich gegen Kinder entscheiden ähnelt das einem „Coming out“, da die gesellschaftlichen Erwartungen immer noch recht konservativ sind. Nicht zuletzt auch auf Grund des medial kolportierten Bildes einer „normalen Familie“, die mit Vater, Mutter und zwei Kindern und Hund erst vollständig ist. Man hat schnell das Gefühl die Einzige zu sein, die so empfindet, Aber das Thema wird gesellschaftlich immer präsenter, auch in den sozialen Medien.
Es gibt haute eher eine neue Offenheit, ein Leben ohne Kinder als gleichwertigen Lebensentwurf sichtbar zu machen. „Gerade in der Generation Z wird viel darüber gesprochen, dass das eine durchaus wählbare Option ist.“ Im Durchschnitt bleiben am Ende tatsächlich rund 20 Prozent eines Jahrgangs kinderlos – gewollt oder ungewollt. Die Shell-Jugendstudie ist so etwas wie ein Seismograf für die Befindlichkeiten der Jugend. Seit 1953 werden darin Werte und Einstellungen der Zwölf- bis 25-Jährigen untersucht. Folgt man der Studie, sind die Kinderwünsche in Deutschland seit nunmehr 20 Jahren relativ stabil. 71 Prozent der Mädchen und 66 Prozent der Jungen geben an, sich später einmal Kinder zu wünschen. Acht Prozent der jungen Frauen und neun Prozent der jungen Männer haben definitiv bereits in jungen Jahren schon keinen Kinderwunsch, der Rest ist noch unentschieden. Bei diesen Durchschnittswerten hat es seit 2002 nur wenig Varianz gegeben.
Blickt man aber etwas genauer hin, zeigen sich interessante Details. So scheint der Kinderwunsch bei den jungen Männern mit steigendem Alter zuzunehmen, bei den jungen Frauen hingegen eher etwas zu sinken, je mehr sie ins gebärfähige Alter kommen. Sagen von den Jungen im Alter von zwölf bis 14 Jahren 64 Prozent, dass sie sich einmal Nachwuchs wünschen, sind es bei den 22 bis 25 Jahre alten Männern bereits 70 Prozent. Bei den Mädchen ist es umgekehrt.
„Je näher es an den Zeitpunkt der Umsetzung geht, desto größer werden bei den Frauen offenbar die Unsicherheiten, welche Einschnitte damit verbunden sind“, sagt Gudrun Quenzel, eine der Autoren der Shell-Jugendstudie.
Eine große Rolle spielt bei der Frage nach eigenen Familienwünschen die Herkunftsfamilie, die Religion und die Sozialisation. Von den konfessionslosen Jugendlichen haben nur 57 Prozent einen Kinderwunsch, bei den muslimischen sind es 84 Prozent, bei den Protestanten 74 und bei den Katholiken 71 Prozent. „Von den Kirchen fühlen sich offenbar vor allem die Jugendlichen angesprochen, die traditionelle Familienformen gut finden“, sagt Quenzel. Auch das Verhältnis zu den eigenen Eltern ist entscheidend. Drei Viertel der Jugendlichen, die sich gut mit ihren Eltern verstehen, können sich vorstellen, auch selbst Kinder zu haben. In Familien, die viel streiten und in denen das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern schlecht ist, können sich nur 56 Prozent eigene Kinder vorstellen. Ein Viertel ist sich bereits sicher, darauf verzichten zu wollen. „Die Erklärung ist schlicht“, sagt Quenzel. „Wenn man Familie nicht als etwas Positives erlebt, hat man deutlich weniger den Wunsch, das selbst zu reproduzieren.“
Ähnliches gilt für den Blick in die eigene Zukunft. Ist der düster, ist eine eigene Familie nur für gut die Hälfte eine feste Option. Eine gute Bildung trägt hier maßgeblich zum Zukunftsoptimismus bei. Von den Jugendlichen mit Abitur wollen nur sieben Prozent definitiv auf Kinder verzichten, für 70 Prozent ist die eigene Familie eine klare Zukunftsoption. Bei den Jugendlichen mit Hauptschulabschluss gilt dies nur für 61 Prozent. 19 Prozent haben sich bereits gegen eigene Kinder entschieden. „Lange Zeit war eine höhere Bildung für Frauen eher ein Heiratshindernis. Heute ist es umgekehrt“, sagt Quenzel dazu. Den Hauptgrund dafür, dass höhere Bildung auch mit höheren Kinderwünschen zusammenhängt, sieht sie aber darin, dass es in bildungsbürgerlichen Familien oft weniger existenzielle Konflikte gebe und das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern entspannter sei – was möglicherweise mehr Lust auf eine eigene Familie macht.
Gravierende Verschiebungen über den Zeitablauf gibt es inzwischen zwischen Ost und West. Seit 2002 lagen die Kinderwünsche ostdeutscher Jugendlicher konstant und zum Teil sogar deutlich über denen der westdeutschen Jugendlichen. 2024 ist das Verhältnis erstmals gekippt. Heute ist der Kinderwunsch in Westdeutschland mit 69 Prozent im Westen höher als im Osten (65). Vor allem bei den jungen Frauen in Ostdeutschland ist der Kinderwunsch stark gesunken – von 84 Prozent 2002 auf 68 Prozent 2024. „Die Selbstverständlichkeit, mit der Beruf und Kinder sich in der DDR vereinbaren ließen, hat lange nachgewirkt“, sagt Quenzel. „Das ist jetzt nicht mehr der Fall.“ Zudem sei der Wunsch nach individueller und beruflicher Selbstverwirklichung in den vergangenen Jahren gestiegen – ein Wertewandel, der sich eher negativ auf Kinderwünsche auswirke.
Ein Schlaglicht darauf wirft der Jugendreport der Stadt Leipzig, der Anfang des Jahres für Schlagzeilen sorgte. Nach ihren Lebenszielen gefragt, gaben weit mehr als 90 Prozent der befragten zwölf bis 24 Jahre alten Leipziger Jugendlichen an, „das Leben genießen“ zu wollen, Freundschaften zu pflegen und einen guten Job zu bekommen, der auch genug Raum für Freizeit lässt. Das Lebensziel „Kinder haben“ war nur für 41 Prozent wichtig oder sehr wichtig. Acht Jahre zuvor hatten das noch 73 Prozent gesagt. „Kein anderer erfragter Wert erlebte einen derart gravierenden Bedeutungswandel“, halten die Autoren in dem Bericht fest.
Einen vertieften Blick in die Motivlage junger Menschen, die sich gegen Kinder entscheiden, haben die beiden Sozialwissenschaftlerinnen Claudia Rahnfeld und Annkatrin Heuschkel von der Dualen Hochschule Gera-Eisenach geworfen. Vor zwei Jahren haben sie rund 1100 gewollt kinderlose Frauen im Alter von 18 bis 45 Jahren nach ihren Beweggründen gefragt – und dabei eine durchaus überraschende Entdeckung gemacht. 42 Prozent der von ihnen befragten Frauen hatte die Entscheidung gegen Kinder bereits vor dem 18. Geburtstag getroffen, weitere 22 Prozent vor dem 25. Geburtstag.
„Wir waren selbst überrascht, dass die Frauen schon so früh sehr entschlossen waren“, sagt Heuschkel. „Bisher ging man davon aus, dass die meisten die Entscheidung erst einmal aufschieben und sich dann erst nach der Ausbildung und den ersten Berufsjahren gegen Kinder entscheiden. Stattdessen hat ein Großteil der Frauen in unserer Befragung einfach nie einen Kinderwunsch verspürt.“ Das oft vorgebrachte Argument, ohne Kinder später einmal einsam zu sein, zieht bei den überzeugt kinderlosen Frauen offenbar nicht: Nur zehn Prozent von ihnen sind der Meinung, dass Kinder im Alter eine Unterstützung darstellen.
Hier schlägt sich auch nieder, dass man die eigene Mobilität für Ausbildung und Beruf und eine damit verbundene Entfernung von der Familie erlebt hat und das auf die eigenen Kinder projeziert. Großfamilien mit aufgeteilten Pflegesituationen sind sowieso nur noch Ausnahmeerscheinungen.
Vor allem Unabhängigkeitsbestrebungen spielten bei der Entscheidung gegen Kinder eine Rolle. „Mehr Freizeit“ und „größere Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung“ standen bei der Frage nach den Gründen mit über 80 Prozent Zustimmung ganz oben – die fehlende Vereinbarkeit von Beruf und Familie nannten hingegen nur 40 Prozent. „Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen spielen eine zunehmend untergeordnete Rolle. Stattdessen gewinnen individuelle Aspekte wie Freiheit in finanzieller, beruflicher und persönlicher Hinsicht immer mehr an Relevanz“, sagt Heuschkel.
In der Gesellschaft stößt dieser Lebensentwurf aber noch auf viel Unverständnis. 68 Prozent der befragten Frauen verspüren zumindest teilweise das Gefühl, sich gegenüber anderen Menschen rechtfertigen zu müssen. „Viele werfen den Frauen puren Egoismus vor.“ Diese Menschen verdrängen dabei aber, dass es ist nicht der Wunsch des Kindes ist, auf die Welt zu kommen. Es ist der ebenso egoistische Wunsch der Mutter, ein Kind zu gebären und der des Vaters ein Kind zu zeugen und damit gleichzeitig die Fortpflanzungsfähigkeit unter Beweis zu stellen und gesellschaftliche Anerkennung zu ernten. Ein Relikt aus paterichialen Zeiten, als auch noch die Jungfräulichkeit der Frau nach der Hochzeitsnacht nachgewiesen werden musste.
Vielleicht steht dahinter aber auch noch viel mehr. Denn es ist nicht nur spaßig Kinder groß zu ziehen. Andere Untersuchungen haben schließlich gezeigt, dass kinderlose Paare zum Teil in glücklicheren Beziehungen leben als Paare mit Kindern. Lugt da etwa Neid wegen der eigenen, verloren gegangenen Unabhängigkeit der mit Kindern gesegneten zwischen den Zeilen hervor?
