Extremismus auf TikTok
(Herbert Reul, Innenminister NRW, in „Die politische Meinung“ 25/IV)
TikTok ist für Millionen Jugendliche täglicher Begleiter.
Längst ist die Plattform jedoch nicht mehr nur ein Ort für Tanzvideos, Lifehacks und Comedy-Clips, sondern auch zu einem Einfallstor für Extremisten geworden. Zwischen harmlosen Inhalten gibt es Botschaften, die brandgefährlich sind. Extremisten werben um Zustimmung, verbreiten ihre Ideologien und diffamieren unsere Demokratie. Sie säen Hass und versuchen, unsere Gesellschaft zu spalten.
Sie präsentieren die Welt in Schwarz und Weiß, in Freund und Feind.
Das besonders Gefährliche an den Sozialen Medien ist, dass sie ein Publikum in einem Alter erreichen, das verletzlich ist. Jugendliche, die noch nicht Auto fahren oder wählen dürfen, konsumieren Inhalte, die sie in eine digitale Echokammer für Grenzüberschreitendes zieht. Die Fähigkeit, Manipulation zu erkennen und Inhalte kritisch zu hinterfragen, ist oft noch nicht ausreichend vorhanden. Was früher Flugblätter und konspirative Treffen waren, ist heute ein perfektionierter Algorithmus, der Jugendliche mit maßgeschneiderten Kurzvideos rund um die Uhr bespielt.
Neuer Motor für alte Ideologien
Extremismus stellt auch heute noch die größte Bedrohung für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung dar. Ob religiös, politisch oder ideologisch motiviert – Extremisten eint das Ziel, unsere Demokratie zu schwächen und durch autoritäre oder totalitäre Systeme zu ersetzen. Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen beobachtet seit Jahren, dass sich extremistische Propaganda mehr und mehr in den digitalen Raum verlagert. TikTok spielt dabei eine besondere Rolle, indem es dafür sorgt, dass sich die Inhalte in Hochgeschwindigkeit verbreiten. Extremisten wissen das für sich zu nutzen. Islamistische Prediger inszenieren sich als kumpelhafte Ratgeber, geben Tipps für Styling oder Beziehungen, streuen zugleich ihre Botschaften.
Neonazistische Gruppen locken Jugendliche in Chatgruppen, wo zunächst Freizeitaktivitäten verabredet werden, ehe schrittweise die eigentliche Ideologie mitgegeben wird. An erster Stelle sind beispielsweise Gruppierungen wie „Jung & Stark“ oder „Deutsche Jugend voran“, die sich zunächst digital vernetzen und später in der realen Welt um die Häuser ziehen. TikTok selbst ist dabei kein neutraler Vermittler, sondern ein Verstärker. Der Algorithmus merkt sich jedes Klickverhalten. Wer ein Video etwas länger ansieht, erhält künftig Inhalte, die den vorherigen ähnlich sind. So entsteht eine Spirale, die Aufmerksamkeit bindet und zugleich einen perfekten Nährboden für Radikalisierung bietet. Der Weg von subtil gestreuter Ideologie bis zu offenen Gewaltaufrufen kann wenige Klicks entfernt sein.
In einer digitalen Welt, in der Meinungen und Fakten auf den ersten Blick gleichwertig nebeneinanderstehen, fällt es besonders Jugendlichen schwer, Propaganda von seriösen Informationen zu unterscheiden. Hinzu kommt, dass die mit Künstlicher Intelligenz erstellten Videos den Extremisten neue Möglichkeiten eröffnen. Ihre Propaganda lässt sich damit täuschend echt und massenwirksamer verbreiten. So verschwimmen auf TikTok immer stärker die Grenzen zwischen harmloser Unterhaltung und gefährlicher Manipulation. TikTok wird so zu einem neuen Motor für alte Ideologien.
Altersgrenzen und wirksame Altersverifikation
Endlose Bildschirmzeit in sozialen Medien tut unseren Kindern nicht gut. Deshalb müssen wir sie schützen. Das heißt auch, dass wir nicht mit Denkverboten in diese Diskussion einsteigen dürfen. Wir müssen über den Umgang mit sozialen Medien und auch mit TikTok reden.
Kinder dürfen auch nicht jeden Film im Kino anschauen. Warum dürfen sie alle Clips auf TikTok sehen? Und warum darf sich dort jeder anmelden, der ein Smartphone hat? Wir sollten den Zugang für Kinder und Jugendliche zu den sozialen Medien stärker begrenzen und den Hinweisen aus der Forschung wie zum Beispiel denen der Leopoldina mehr Gehör schenken. Eine Altersgrenze und eine wirksame Altersverifikation für soziale Medien können Wege sein, den Einfluss dieser Plattformen auf unseren Nachwuchs zu reduzieren.
Freiwillige Selbstverpflichtungen der Plattformen reichen nicht aus. Wer behauptet, dass man dies ohne Regulierung erreichen könne, irrt. Und dass Regulierung nicht im Sinne der Betreiber ist, leuchtet ein, denn diese profitieren mehr von Werbeeinnahmen als vom Schutz junger Menschen.
Demokratie unter Druck
Wer heute in der Gunst der nachfolgenden Generation steht und die Aufmerksamkeit junger Menschen kontrolliert, prägt die politischen Grundhaltungen von morgen. Deshalb ist der Umgang mit TikTok und sozialen Medien heute nicht nur eine Frage des Jugendschutzes, sondern auch eine Frage von Resilienz und Wehrhaftigkeit unserer Demokratie. Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen dokumentiert, wie in sozialen Medien gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung Stimmung gemacht wird. Wenn solche Haltungen Millionen junger Menschen ungestört erreichen, gefährdet das das Fundament unserer Gesellschaft.
Unsere Sicherheitsbehörden versuchen alles, was in ihrer Macht steht, um Extremismus zu bekämpfen. Dazu gehört Aufklärung genauso wie Prävention. Aber digitale Radikalisierung ist nicht nur allein ein Thema der Sicherheitsbehörden, sondern aller gesellschaftlichen Akteure. Auch im Netz müssen wir unsere demokratischen Werte verteidigen und dafür sorgen, dass Extremisten dort nicht ungefilterten Zugang zu den Köpfen unseres Nachwuchses haben. Passiv zu bleiben, die Meinungsbildung einer ganzen Generation jenen zu überlassen, die auf unsere Demokratie schimpfen, ist für uns alle gefährlich. Jugendschutz ist unsere ist demokratische Pflicht.
Ebenso, wie wir Minderjährige vor Alkohol, Glücksspiel oder Pornographie schützen, müssen wir sie vor digitalen Gefahren bewah-ren, die ihre psychische Gesundheit und ihre demokratische Haltung bedrohen. Der Schutz von Kindern und Jugendlichen im Netz ist keine parteipolitische Frage, sondern eine gesamtgesellschaftliche Pflicht.
