Sind Männer und Frauen gleich?
Gedanken aus einem Artikel in der NZZ-Folio 04/2024, von Reto U.Schneider.
Es stellt sich die zentrale Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen der unterschiedlichen Anatomie der Geschlechter und ihrem Wesen gibt?
Lange Zeit war der Behavorismus die meinungsbildende Denkrichtung vieler Intellektueller und Lehrender.
Dessen Begründer J.B.Watson vertrat die Meinung, dass er aus jedem wohlerzogenen Kind jeden beliebigen Spezialisten formen könne und Simone de Beauvoir konstatierte: Man wird nicht als Frau geboren, sondern dazu gemacht.
Auch in der Frauenrechtsbewegung folgte man spätestens seit dem letzten Viertel des 20ten Jahrhunderts diesem Dogma. Nur Tiere seien in ihrem (Sozial-)Verhalten von Instinkten, Reflexen und Trieben bestimmt. Das wurde genauso allen Säugetieren unterstellt, mit einer einzigen Ausnahme, dem Menschen. Die evolutionäre Entwicklung sollte dessen ganzen Körper bestimmt, aber vor dessen Gehirn gestoppt haben. Das soziale Wesen „Mensch“ sei, ganz im Gegenteil, fast ausnahmslos durch Erziehung und Erfahrung geprägt.
Edward O.Wilson von der Harvard Universität begründete 1978 einen neuen Wissenschaftszweig, die Soziobiologie (moderner: Evolutionspsychologie), als er sich dazu entschloss den Menschen wissenschaftlich so zu betrachten, wie der Mensch die Tierwelt betrachtete, nämlich von der Position eines Außenstehenden! Er unterstellte dem Untersuchungsobjekt Mensch, dass dessen evolutionäre Entwicklung davon bestimmt gewesen sei, wie er sich möglichst erfolgreich fortpflanzen konnte. Das hätte folgerichtig dementsprechende Verhaltens- und Denkweisen begünstigt, da der Mensch, der sich erfolgreicher vermehren konnte, seine Veranlagungen wesentlich häufiger über Kinder und Kindeskinder weitergeben konnte.
Sollten sich diese Gedanken bestätigen, hätte das enorme Auswirkungen auf das soziokulturelle Gefüge der menschlichen Gesellschaft. Etwa in der Form, wie bei der modernen Medizin, die nachgewiesen hat, dass Frauen z.B. auf Medikamente, egal ob Schmerzmittel oder Psychopharmaka, anders reagieren als Männer und dass Unfälle unterschiedliche Auswirkungen auf die Körper haben, weshalb mittlerweile weibliche Dummys in der Unfallforschung Verwendung finden.
Entgegen der Annahme von Alice Schwarzer (1981): Anders-Sein, bedeute immer auch ein Minderwertig-Sein sind wir uns heute in der westlichen Welt im Wesentlichen darüber einig, dass es gute Gründe gibt anders zu sein und dass damit ein Gleichwertig verbunden sein muss. Der Kampfspruch „Sexualität ist nicht Natur sondern Kultur!“ hat lediglich eine partielle Gültigkeit behalten.
Man hatte zwischenzeitlich einen Ausweg gefunden, indem man das Geschlecht aufteilte und zwischen Sex (biologisches Geschlecht) und Gender (soziales Geschlecht) unterschied. Diese Denkrichtung hat aber den oben beschriebenen Widerspruch nicht aufgelöst, denn auch das soziale Verhalten wird vom Gehirn gesteuert. Wenn das losgelöst von der Körperlichkeit gesteuert werden sollte, wird das Gehirn in seiner Entwicklung und Arbeitsweise von der Evolution losgelöst, was wenig wahrscheinlich erscheint.
Wilson hat geschlussfolgert, wenn sich Augen zum Sehen und Hände zum Greifen in der Evolution fortentwickelt haben, dann muss auch das Gehirn im Verlauf der Evolution zu einem vorteilhaften Sozialverhalten gefunden haben. Allerdings darf man hier nicht dem verbreiteten naturalistischen Fehlschluss unterliegen und darauf setzen, dass evolutionäre Vorteile, die das Überleben sichern auch zwangsläufig einen positiven moralischen Aspekt haben müssten. Ganz abgesehen davon, dass sich Moralvorstellungen schneller ändern, als das einen Evolution je nachvollziehen könnte. Leider wurde in der Vergangenheit gerade über diesen naturalistischen Fehlschluss die Unterdrückung der Frau legitimiert, was diese Denkrichtung nicht richtig macht und eine bloße Umkehrung der Stoßrichtung auch nicht richtiger. Es ist nämlich widersinnig aus der Natur eine Moral abzuleiten und die Kategorien Gut und Böse zu implementieren. Dadurch würde ein Erdbeben, als natürliches Ereignis a priori Gut und ein Kühlschrank, da künstlich, Böse. Diskriminierungen aufgrund des Geschlechtes oder der sexuellen Ausrichtung sind an und für sich unethisch und das nicht nur weil es einen Clownsfisch gibt, der sein Geschlecht wechseln kann oder lesbische Kanarienvögel.
In der Tat haben viele Untersuchungen ergeben, dass gewisse Verhaltensmuster weltweit den Geschlechtern mit einer signifikanten Häufung zugeschrieben werden können. Insbesondere ist die Neigung zur Gewalt weltweit und über alle Epochen ein männliches Attribut. Es wäre vermessen anzunehmen, dass die Ausstattung der Männer mit einem größeren und kräftigerem Körper nicht in einem gewissen Zusammenhang mit diesem Umstand stünde. Der massigere und kräftigere Körper ist somit ein fleischgewordenes Verhaltensmuster und ein starkes Indiz dafür, dass sich Körper und Geist im Verlauf der Evolution stark beeinflussen und gemeinsam anpassen. Wir sind aber nicht Sklaven unserer Gene, denn gerade die Gewaltstatistiken zeigen, dass die Häufung von Gewalttätigkeiten stark kulturell geprägt sind. So entfällt z.B. in der Schweiz ein Mord auf 200 000 Menschen und in Honduras 70, was aber nichts an der Geschlechterverteilung der Gewalttaten geändert hat.
Auch im Sexualverhalten gibt es über alle untersuchten Zeiträume und räumliche Zuordnungen signifikante Unterschiede. Männer wollen im Durchschnitt häufiger Sex, haben häufiger wechselnde Sexualpartner, schauen mehr Pornos und gehen mehr in Bordelle als Frauen. Was natürlich nicht heißt, dass es nicht auch sexuell sehr aktive Frauen gäbe, was aber an der signifikanten Verteilung nichts ändert.
Gerade im Bereich der Sexualität gibt es belastbare Forschungsergebnisse zu den geschlechtsspezifischen Präferenzen, denn selbst bei lesbischen und homosexuellen Paaren sind weitgehend die gleichen Verhaltensmuster festzustellen wie im heterosexuellen Bereich, der manchmal von Gewalterfahrungen, Machtausübungen und Schwangerschaftsängsten beherrscht wird.. Lesbische Beziehungen zeichnen sich wesentlich öfter durch eine enge Bindung aus, als homosexuelle. Das wird durch einen weit verbreiteten Spruch karikiert: „Lesbische Frauen bringen beim zweiten Date die ersten Möbel mit. Homosexuelle Männer kennen kein zweites Date.“
Es ist auf keinen Fall sexistisch diese Unterschiede festzustellen. Das wird es erst, wenn man Einzelpersonen ohne Ansehung ihrer eigenen Neigung auf Grund dieser Erkenntnisse diskriminiert.
Was könnte denn in grauer Vorzeit zu diesem unterschiedlichen Verhalten geführt haben?
Es liegt auf der Hand. Ein Mann hatte evolutionär gesehen Vorteile, wenn er sich möglichst oft vermehrte, denn er investierte in jeden Nachkommen maximal einige Minuten für den Geschlechtsverkehr und wenige Milliliter Sperma. Eine Frau investierte wesentlich mehr, nämlich ihre Eizelle und neun Monate Schwangerschaft, sowie etliche Monate der Kindespflege, bevor sie wieder bereit war sich erneut fortzupflanzen. Somit musste sie sich wesentlich mehr Mühe bei der Auswahl der Sexualpartner geben als die Männer und versuchen den Partner zur Hilfe bei der Aufzucht der Nachkommen an sich zu binden.
Kurz gesagt führt viel Sex für Männer zu einem evolutionären Vorteil, für Frauen aber nicht.
Da diese Verhaltensweisen in Summe auch heute noch vorherrschen, ist anzunehmen, dass evolutionär verankerten Verhaltensweisen nicht so einfach wegsozialisieren werden können. Das gilt um so mehr, als die gesellschaftlichen Folgen (Scheidung, wirtschaftliche Nachteile usw.) heute eher nachteilig sind.
Die Evolutionspsychologie geht davon aus, dass es darüber hinaus etliche weitere Bereiche im Sozialverhalten gibt, die einer evolutionären Veränderung unterliegen. Dazu gehören so universelle Gefühle wie Liebe, Hass, Trauer, Zu- und Abneigungen und Vorlieben, die unser Handeln neben biologischen Vorgaben und Impulsen, in wechselseitigem Kampf um die Handlungshoheit und unser Leben gestalten.
Ein weiterer interessanter Aspekt ist der, dass solche Verhaltensweisen in Gemeinschaften mit einer hoch entwickelten Geschlechtergerechtigkeit eigentlich auf dem Rückzug sein müssten. Aber das Gegenteil ist der Fall. Frauen sind in den MINT-Berufen in den nordischen, eher geschlechtsgerechten Staaten signifikant weniger vertreten, als in den z.B. arabischen, eher geschlechtsungerechten Staaten. Wie kann das sein? Eine Erklärung ist, dass Frauen sich dann, wenn sie sich nicht beweisen müssen genau zu den Verhaltensweisen hingezogen fühlen, die ihrer Veranlagung am Nahesten sind. Sollte sich dieser Erklärungsansatz bestätigen, hätte sich ironischer Weise die Gleichberechtigungsbewegung selbst untergraben und die unterschiedliche Veranlagung von Frau und Mann bewiesen.
Es gibt noch einen eindeutigen Indikator für die Interessenunterschiede zwischen Mann und Frau. Männer interessieren sich eher für Dinge und Frauen für Menschen. Eine groß angelegte Schweizer Studie aus 2018 belegt da eindeutig. Wenn man feststellt, dass sich eine Berufsgruppe eher mit Dingen als mit Menschen beschäftigt, sind Männer über alle Berufsgruppen signifikant häufiger als Arbeitnehmer anzufinden.
Auch die Meinung, dass Frauen in Männerdomänen nur sehr schwer eindringen können und wollen, weil u.a. auch sexistische Verhaltensweisen vorherrschen, widerlegt die Tatsache, dass gerade in dem von Männern dominierten medizinischen Bereich die Frauenquote exorbitant angestiegen ist,
Das lässt den Schluss zu, dass Gleichberechtigung nicht erst dann erreicht ist, wenn gleich viele Männer und Frauen einen Beruf ergriffen haben, sondern bereits dann, wenn für beide Geschlechter die gleichen Einstiegs- und Fortkommenschancen bestehen.
Die Erkenntnisse, dass auch die Gehirne von Mann und Frau unterschiedlich arbeiten sind für Politik und Gesellschaft keine Handlungsvorgaben, sondern lediglich Erkenntnisse, die in Entscheidungen einfließen sollten.
Das schließt z.B. nicht aus, dass es in manchen Bereichen sinnvoll sein kann eine paritätische Besetzung von Führungspositionen zu vereinbaren. Ebenso muss man sich Gedanken machen, wie man mit den Erkenntnissen umgeht. Die Erkenntnis, dass Männer eher zur Gewalt neigen kann zu unterschiedlichen Entscheidungen führen:
1. Männer könne nichts dafür, wenn sie Gewalt ausüben und müssen in Folge dessen straffrei ausgehen, wenn sie Gewalt ausüben.
2. Da Männer zur Gewalt neigen muss man sie präventiv einsperren.
Zwischen Schwarz und Weiß gibt es aber noch jede Menge Graustufen!
In einer demokratischen Gesellschaft muss Gleiches gleich behandelt werden. Ungleiches muss so behandelt werden, dass es nicht zu Diskriminierungen kommt.
Gerade in der Sexualpolitik kann man hier einige Schlüsse ziehen, die dem Geschlechterunterschied gerecht wird.
Nur wenn jeder Beteiligte ausdrücklich zustimmt, kann man vom einvernehmlichen Sex ausgehen. Speedating-Experimente haben gezeigt, dass die Erwartungen an die Ergebnisse zwischen Männer und Frauen höchst Unterschiedlich waren. Männer haben ihre sexuelle Wirkung auf Frauen regelmäßig überschätzt und Frauen ihre sexuelle Wirkung auf Männer regelmäßig unterschätzt. Wie oben ausgeführt macht diese unterschiedliche Einschätzung aus evolutionspsychologischer Sicht durchaus Sinn, auch wenn das in das moderne Bild einer partnerschaftlichen Beziehung nicht so recht passen will.
Ein weiterer Unterschied wurde wurde durch die Forschung belegt. Frauen bereuen viel eher ein sexuelles Abenteuer (z.b. einen One-Night-Stand) viel eher als Männer. Männer bereuen viel eher ein verpasste Chance zum Sex.
Wenn Missverständnisse also derart vorprogrammiert sind, ist eine vorherige verbale Verständigung nicht die schlechteste Lösung.
Wir sollten Wert darauf legen, dass Menschen sich nach Neigung und Veranlagung frei entwickeln können, dabei müssen wir aber auch nicht in Abrede stellen, dass in den allermeisten Fällen eine sexuelle Orientierung und die Ausbildung der Geschlechtsmerkmale übereinstimmen. Ebenso wenig, dass es geschlechtsorientierte Neigungen gibt und wenn man sich daran orientiert, dass genauso gut ist, als wenn man sich davon nicht leiten lässt.
Wie in anderen Bereichen auch, gilt hier, dass es keine absolute Wahrheit gibt, sondern dass da Leben so vielfältig ist wie man sich es kaum vorstellen kann. Biologie und Sozialisation gehen in nserem Leben Hand in Hand daher. Wer die Oberhand gewinnt ist von Situation zu Situation, von Mensch zu Mensch und von Sozialisation zu Sozialisation unterschieden.
Wir müssen akzeptieren, dass wir ein Produkt der Selektion unserer Vorfahren sind und wir dürfen entgegen nehmen, dass wir diesen Vorgaben nicht hilflos ausgeliefert sind!
