Deutschland – Quo vadis II
Es ist leider schon länger zu beobachten, dass sich in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und bei Privaten eine einseitige Sicht der Dinge etabliert hat.
Wir sind in Deutschland auf Grund der wirtschaftlichen Erfolge der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts „wohlstandsverwöhnt“! Sicherlich hat es auch damals Menschen gegeben, die durch das soziale Raster gefallen sind, aber insgesamt ist es den Deutschen noch nie so gut gegangen, wie in dieser Zeit. Das Wohlstandsversprechen ist von einer Generation an die nächste weitergegeben worden, ohne Hintergründe und Umstände ebenso deutlich klar zu machen.
Wir haben nicht im Paradies gelebt, in dem Milch und Honig fließen, sondern es gab globalpolitische und -wirtschaftliche Situationen, die man heute so nicht mehr vorfindet. Der offene Welthandel ist mittlerweile bedroht, die Goldgräberstimmungen sind verflogen und die natürlichen Ressourcen gehen zur Neige oder werden nach politischem Kalkül zugänglich gemacht. Wir haben immense externe Kosten sträflich vernachlässigt, indem wir die Umweltbelastungen unseres Tuns unberücksichtigt gelassen haben und unsere Infrastruktur totgeritten haben. Zudem wurde das viele Geld, das damals erwirtschaftet wurde, für den schnellen wirtschaftlichen und politischen Genuss verprasst. Shareholder Value, ausufernder Konsum und Wiederwahlen wurden zum alles bestimmenden Mantra, Gewinne wurden privatisier, Verluste sozialisiert und der wiederholte Urlaub auf Mallorca und ständige vergrößerte Neuwagen quasi zum Grundrecht. Im Vertrauen auf den nie enden wollenden Erfolg des „Made in Germany“ wurde zu wenig in die Zukunft investiert und politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Risiken verdrängt und deren Beseitigung sträflich vernachlässigt. Wir haben in unserer Überheblichkeit ganze Wirtschaftszweige ausgebeutet und letztendlich ins Ausland verkauft oder abwandern lassen (z.B. Stahlindustrie, Solarpanell).
Ein prominentes Beispiel für Fehlentwicklungen ist unser Bildungssystem. Wir haben uns vom Leistungssystem verabschiedet und das Mittelmaß zum Maß der Dinge gemacht. Der ehemalige Bildungsweltmeister, das Land der Dichter und Denker, fällt im internationalen Vergleich immer weiter zurück. Schon mein Vater, als Leiter einer Ausbildungseinrichtung, hat in den späten 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts beklagt, dass das Bildungsniveau der Bewerber drastisch zurück gehen würde. (Um dem Shitstorm vorzubeugen: Das kann ich aus eigener Ansicht beurteilen. Ich habe die gleiche Ausbildung 1972 angetreten. Bereits damals musste ich als „Versuchskaninchen“ die Aufnahmetests meines Vaters durchexerzieren. Mein Vater hat den Probanden dann die doppelte Zeit gegeben und Boni zugeteilt.) Das waren aber noch Bewerber, von denen heute etliche Einrichtungen nur noch träumen können, denn die Grundfertigkeiten der schulischen Bildung waren übergreifend vorhanden. Mein älterer Bruder hat ein mittelmäßiges Abitur hingelegt, damit aber ein Mathematikstudium mit Bravour abgeschlossen. Mein Notendurchschnitt, etliche Jahre später, war wesentlich besser, die Lerninhalte aber unvergleichlich geringer und durch geschickte Fächer(ab)wahl manipuliert.
Sicherlich müssen schwache Schüler gefördert werden, aber deswegen muss man Lerneliten nicht verteufeln, sondern mindestens ebenso intensiv fördern, wie die Nachzügler, denn das sind irgendwann die Menschen, die den Technologiestandort Deutschland sichern könnten. Wir haben uns aber statt dessen darin gefallen Lehrer als die Blöden der Nation zu denunzieren und wundern uns, dass niemand mehr Spaß am Beruf hat.
Mindest ähnlich scherwiegende Fehlentwicklungen gibt es im gesamten Care-Bereich und allen Dienstleistungsbereichen.
Unsere Neigung Probleme wegzukaufen (siehe z.B. Corona-Hilfen), Subventionen und gewaltige Umverteilungen, haben die Sicht auf die wirtschaftlichen Notwendigkeiten vernebelt. Jeder Euro, den der Staat umverteilen soll, muss zuvor von Wirtschaftssubjekten mehrfach erwirtschaftet werden! Unternehmensgewinne, Löhne, Investitionsrücklagen, Sozialabgaben und dann auch die Steuern bilden ein Gesamtpaket, dessen Elemente dürfen vor diesem Hintergrund nicht einzeln betrachtet werden.
Einer meiner Aufreger besonderer Güte ist die unendliche Forderung nach staatlichen Leistungen und auf der anderen Seite Steuervermeidung und Anspruchsdenken.
Der STAAT sind WIR alle! Das wird viel zu oft vergessen.
Wir haben uns einen Sozialstaat aufgebaut, um den uns sehr viele Menschen beneiden, dessen Kosten aber keiner tragen möchte, wenn die Geldquellen zur Neige gehen.
Wenn jetzt Leistungen in Frage gestellt werden, fehlt das o.a. Bewusstsein und es wird nur noch als Unrecht empfunden, wenn Pfründe versiegen.
Ich will hier nicht den Sozialdarwinismus propagieren, aber: „Der Staat ist nicht eine Kuh, die im Himmel weidet und auf der Erde gemolken wird!“
Auch die Auto-Wirtschaft hat sich zu lange in den Erfolgen des letzen Jahrhunderts gesonnt und wichtige Entwicklungen verschlafen. Höher, weiter und schneller und das mit einer gewissen Automatik, denn der deutsche Michel ist ja ein Autonarr. Der Kleinwagen VW-Polo hat an Größe und Leistungsfähigkeit längst den Golf von damals überholt. Die Erkenntnis, das man mit einer Citroen-2CV (29PS) genauso ans Ziel kommt, wie mit einem Dogde-RAM (über 400PS) ist im allgemeinen Fortschrittswahn verkommen.
Das Geld geht bei Staat und Verbraucher zur Neige und Ford-Köln wundert sich, dass sie auf einem E-Auto der unteren Mittelklasse, mit einem Startpreis von ca. 40.000 €, sitzen bleiben. Ein Auto ohne ausreichender Reichweite, kurzzyglischem Wertverfall (rasant fortschreitende Technik) und somit geringerer Attraktivität beim Kauf und vor allem beim Wiederverkauf.
Man muss mal die Gegenrechnung machen. Sollte ein Arbeitnehmer jeden Monat 500€ für ein neues Auto sparen können, müsste er mindestens 5 Jahre sparen, um sich so ein Auto der unteren Preisklasse leisten zu können, da der Wiederverkaufspreis nach dieser Zeit wohl recht gering ausfallen wird.
Aber auch der Gesetzgeber hat seine Hausaufgaben nicht gemacht. Die Wirtschaft braucht langfristige und stabile Perspektiven, damit sie bereit ist hohe Investitionen zu tätigen. Ein Investment muss sich letztendlich für Investoren bezahlt machen und zwar nachhaltiger als bei einer Einlagerung in Wertpapiere. Wenn sich ein Investor wegen fehlender Mittel keine Fehlinvestition mehr leisten kann, wird er übervorsichtig und weitere innovative Investitionen meiden.
Dazu kommen ganz praktische Fehlentwicklungen. Die meisten Menschen leben z.B. in Ballungsgebieten der Großstädte. Wo sind denn da ausreichend viele Ladestationen?
Anbei das Beispiel meiner eigenen Wohnsituation in einem Vorort von Köln. Unser Haus liegt, wie sehr viele andere, an einem nicht befahrbaren Stichweg. Die angrenzende Straße ist von Zweit- und Drittwagen, sowie Wohnmobilen so vollgestellt, dass man kaum eine naheliegenden Parkplatz sicher hat. Erstwagen, Motorräder und Fahrräder stehen oft in den Garagen auf dem Garagenhof, wenn man denn überhaupt eine ergattern konnte. Ich werde nie und nimmer ein E-Auto laden können, wenn viel Anwohner E-Autos haben sollten. So viele Ladestationen kann es gar nicht geben und unser Haus kann man weder mit einem Auto erreichen, noch habe ich einen Stellplatz in praktikabler Nähe zu einer möglichen Walbox.
Daher fahren wir, wie etliche andere hier, einen Ford-Puma, mit Hybridtechnik, dessen Fabrikation aber schnell wieder eingestellt wurde.
Am Ende bleibt der Befund, dass wir nach multiplem Versagen von Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Gesellschaft und auch Privaten hier stehen, wo wir stehen.
Der Sprung vom angesehenen Führer- ins belächelte Bremserhäuschen Europas ist schnell vollzogen worden.
Aber ich will immer noch nicht in einem anderen Land Leben und bloßes Jammern hilft auch nichts. Besinnen wir uns doch besser auf unsere Stärken. Wir brauchen Erfindergeist, Innovationskraft, Weitsicht, Verantwortungsbewusstsein, stabile politische Verhältnisse und Fleiss. Also ein Umfeld, in dem gerne Investiert wird und in das Fachkräfte gerne migrieren, weil sie gute Verdienstmöglichkeiten haben und vor Rassisten sicher sind.
Wer jetzt Despoten wählt, verweigert sich der Einsicht, dass es keine einfachen Antworten auf komplexe Fragestellungen und Herausforderungen gibt.
Wer jetzt bei der sicherlich berechtigten Work-Life-Balance immer noch zu sehr Richtung Life tendiert, verdrängt, dass man niemals eine Geldmedaille erhält, wenn man sein Ziel nicht mit seiner ganzen Kraft verfolgt!
Es ist unmodern und die Zeiten und Menschen haben sich (glücklicherweise?) geändert, aber trotzdem ein Zitat meines Schuldirektors aus dem Jahre 1980, als ich am Abendgymnasium der Stadt Duisburg mein Abitur machte. Wir hatten uns über die vielen Hausaufgaben beschwert, die wir nach 22:00, neben dem Beruf, dem Unterricht und den Klausurvorbereitungen, noch machen mussten.
„Ich habe letzten Sonntag einen Mitschüler von Ihnen auf dem Tennisplatz getroffen. Dann können es nicht zu viele Hausaufgaben gewesen sein.“
