Gesellschaft und Politik

Demokratie ist ein Endlos- und Mitmachprojekt

(Quelle: Good Impact, 07/2023, Diskussion Paulina Fröhlich, stellv. Geschäftsführerin des Berliner Polit- und Thinktanks „Das Progressive Zentrum“ und Jürgen Neyer, Prof. für Europäische und Internationale Politik, Universität Viadrina, Frankfurt/Oder)

Dei Demokratien der Welt und insbesondere die in Europa stehen vor der Grundsatzfrage: In was für einer Gesellschaft wollen wir leben?
Die vorherrschende politische Elite und die Bildungsbürgerschaft geht wie selbstverständlich davon aus, dass das die offene pluralistische Gesellschaft sein sollte. Wir müssen aber erleben, dass sich einige Gesellschaftskreise davon bedroht und nicht von ihr repräsentiert fühlen.
Hier wird nichts weniger als die Seele der Demokratie in Frage gestellt.

Die Legitimität einer Demokratie ist in besonderem Maße davon abhängig, dass Ihre Bürger sich von ihr vertreten fühlen. Dafür müssen sie im Gegenzug aber auch bereit sein sie aktiv zu gestalten und mitzumachen. Das wiederum bedingt, dass die fundamentalen Gewalten (Legislative, Exekutive, Judikative) den Bürgern auch angemessene Beteiligungsmöglichkeiten bieten.
Man darf sich trefflich darüber streiten, ob eine alle 4 – 5 Jahre stattfindende Wahl für alle Volljährigen dafür ausreichend ist. Es stellt sich die Frage, ob die derzeitigen wichtigsten Themen (Energiewende, Umweltschutz, Klimakatastrophe, Migration usw.) überhaupt geeignet sind dem Rhythmus von Wahlperioden zu unterliegen und national gelöst werden können.
Ebenso drängt sich die Frage auf, wie die Rechte zukünftiger Generationen besser gewahrt werden könnten. Das war solange belanglos, wie das Versprechen galt, dass es der nachfolgenden Generation stets besser gehen würde. Dieses Versprechen ist heute leider aber nicht mehr zu halten.

Ich möchte das nur an dem Beispiel Energiepolitik verdeutlichen. Deutschland hat sich nach den endlosen „Atomkraft-Nein-Danke“- und Endlager-Diskussionen und dann vor dem Eindruck der Atomkatastrophen in Tschernobyl und letztendlich in Fukushima zum Atomausstieg entschlossen. Diese Technik birgt offensichtlich kaum zu beherrschende Risiken für eine grenzüberschreitende und nicht progniszierbare Menge an potentiell Betroffenen und das über Zeiträume, die in Jahrtausenden zu beziffern sind.
Frankreich, Schweiz, Schweden und andere Nachbarstaaten setzen aber weiterhin zum Teil massiv auf die Atomkraft.
Und jetzt? Z.B. die maroden französischen Energieblöcke des Atomkraftwerks in Tihange bedrohen uns in Deutschland weiterhin und der dort anfallende Atommüll liegt weiterhin relativ ungeschützt in der Landschaft. Aber Frankreich hat einen gesicherteren Strommarkt als Deutschland, niedrigere Energiepreise und eine geringere CO2-Belastung durch ihren Energiemix.
Die Folge ist eine wachsende Unzufriedenheit der deutschen Wirtschaft und der Verbraucher. International steht Deutschland recht isoliert da. Die Deutsche Regierung muss sich hässliche Fragen gefallen lassen. Wie soll sie der darbenden Industrie, dem Handel und den Verbrauchern Ihre Entscheidungen „verkaufen“, die zu hohen Energiepreisen, hohe CO2-Emissionen durch Braunkohlekraftwerke und die immer wieder zu notwendige Atomstrom-Importe aus Frankreich führen, als notwendige, verantwortliche und generationsgerechte Entscheidungen „verkaufen“?