Gesellschaft und Politik

Wir können die AfD noch verhindern
– oder doch nicht –

Ich habe heute in den SM ein Posting verbreitet, dass sich mit dem Problem der Migration beschäftigt. Dabei habe ich u.a. ein Statement von Vince Ebert zitiert, von dessen Einstellung man halten kann was man will.
Der für mich nachvollziehbarer Tenor des Statements: Die meisten Menschen haben nichts gegen Migranten, sondern sie ängstigen sich vor deren (vermeintlichen) Einstellungen, Prägungen und Verhaltensmuster, die sie aus patriarchalisch geprägten Kulturen, oft mit Geringachtung unserer Grundrechte, mitbringen.

Die Reaktionen aus dem Netz waren über die gesamte Skala der Reaktionsmöglichkeiten verteilt.

Daher hier eine etwas ausführlichere Darstellung meiner Ideen zu diesem Thema und wie es dazu kommen konnte.
Der Focus liegt dabei nicht darauf, dass oder ob Migranten sehr bemitleidenswerte Menschen sind und wahre Odysseen hinter sich haben oder nicht. Sie werden triftige Gründe haben, weshalb sie gerade nach Deutschland wollen, sonst würden sie eine solche „Reise“ nicht auf sich nehmen.
Mir geht es hier und jetzt darum, was das mit uns in Deutschland macht und wieso die AfD so leichtes Spiel hat.

Die Ausgangslage gegen Ende des 20. Jahrhundert war, dass Deutschland die Wirtschaftslokomotive der EU war und „Made in Germany“ etwas gegolten hat (das galt für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft).
Heute, Anfang 2014, sitzt Deutschland im EU-Bremserhäuschen und mutiert zum kranken Mann der EU. Über unsere (wirtschafts-/energie-) politischen Kapriolen ist man außerhalb Deutschlands bestenfalls amüsiert oder sogar sehr irritiert bis entsetzt. Sicherlich sind wir immer noch eine der größten Wirtschaftsnationen, Ukraine-Waffenlieferant usw. der EU, aber … irgendwie überall auf dem absteigenden Ast.
Die Infrastruktur ist marode, die Energiepreise hoch, der Wirtschaft droht die Inflation, der Wirtschaftsstandort verliert an Attraktivität, laut Pisa-Studie haben wir es uns im Bildungssumpf gemütlich gemacht und der Klima-/Umwelt-/Artenschutz dümpelt vor sich hin.
Apropos „dümpelt“. So kann man auch die aktuelle Ampel-Politik beschreiben. Die Halbwertzeiten von Entscheidungen sind im freien Fall. Grundsteuer, Heizungsgesetz, Agrar-Diesel usw., alles schneller wieder in Frage gestellt oder sogar rückgängig gemacht, bevor die Druckerschwärze der Gesetzesänderungen getrocknet ist. Dazu kommt, dass die Ampel-Regierung leider nicht wie die Creme-de-la-Creme (von jedem das Beste) fungiert, sondern sich immer nur wie zerstrittene Ehepartner vor dem Scheidungsrichter benehmen, indem sie um jeden Fetzen ihrer Parteidogmatik streiten. Sie haben es aber auch nicht einfach. Wer wollte wirkliche mit ihnen tauschen?
Aber irgendwie alles festgefahren oder sogar Richtung Berg-ab. „Unserem Kind solle es mal besser gehen“, war gestern.
Dazu kommen Kriege, Energiekrise, Umweltprobleme, Klimakrise und was sonst nicht noch alles dem geneigten Zuhörer und Leser der Presse gerade riesigen „Schiss“ macht!

Und dann … stehen Kohorten von Migranten vor der Tür, bringen fremdes Kulturgut mit, sehen anders aus, benehmen sich anderes und haben sogar generell ein anderes Werteschema.
In der Wahrnehmung der Bürger werden soziale Errungenschaften der Deutschen Gesellschaft bedingungslos auf die Gäste ausgeweitet und es verfestigt sich bei Ihnen der Eindruck, Deutschland solle alle Menschen der Welt retten, die sich zu Hause nicht wohl fühlen. Wobei andere Staaten sich vornehm zurückhalten.
Ich sage extra „Wahrnehmung“, weil es hier gar nicht mehr um wahr oder unwahr geht, sondern um eine gefühlte Angst vor der Überforderung.
Angelas: „Wir wuppen das schon!“ ist nicht jedermanns Meinung, der Deutsche Michel verfällt in den Angstmodus und das verheißt nichts Gutes!
Im übertragenen Sinn gilt auch heute noch: Wer lange überlegt, ob der Säbelzahntiger vor der Tür schmusen oder fressen will, lebt nicht mehr lange. Automatisierte Verhaltensmuster passieren schon längst, bevor wir uns bewusst für eine Handlung oder einen Gedankengang entscheiden.
Der Deutsche sucht in dieser Situation Halt in bei denen, die einfache Lösungen für ihre multiplen Ängste versprechen und huldigt dem starken Macher. Ein Verhalten, dass wohl auch ein Motor für den Triumph von Trump in den USA ist und Blaupause für alle möglichen Demagogen.
Genau an diesem Punkt müssen verantwortungsvolle Politiker und letztendlich wir alle die zweifelnden Menschen abholen. Wer emotional unterwegs ist lässt sich aber wenig von Logik beeindrucken, der braucht dann auch emotionale Ansprache.
Politiker die das nicht erkennen und emotional taub und/oder stumm sind, sind trotz aller fachlicher Expertise, die möglicherweise vorliegt, fehl am Platze!

Aber was mache wir? Wir definieren was „gute“ Menschen denken und sagen dürfen und grenzen alle anderen aus. Das sind faschistoide Verhaltensmuster. Da hört vor allem aber Demokratie auf!
Es ist der ureigenste Ausdruck von Demokratie, wenn ein Wähler sein Votum für eine Partei, die es auf den Wahlzettel gebracht hat, unbeeindruckt staatlicher Repressalien abgeben kann.
Verantwortungsvolle Politiker bringen Wähler dazu, erst gar nicht das „falsche“ Kreuz zu setzen!
Demokratie heißt aber auch, dass man sich mit menschenverachtenden Ideologien kritisch auseinandersetzen und den öffentlichen Diskurs suchen muss. Man muss sie bloßstellen und Alternativen aufzeigen. Genau das Gegenteil passiert aber, wenn uns Alice Weidel von allen Deckblättern der Printmedien entgegen lacht und die Statements der AfD ganze Seiten füllen.
Demokratie heißt nämlich nicht, dass man jedem Gedankengut in Presse und öffentlicher Darstellung den gleichen Raum geben und unendlich breittreten muss. Abwegige Gedanken gibt es und darf es geben. Sie müssen aber eingeordnet und sachgerecht kommentiert, kommuniziert und als Mindermeinung dargestellt werden.

Aber hier versagen wir gerade alle. Wir lassen zu, dass sich Extreme öffentlich zunehmend darstellen, geben ihnen Foren auf denen sie provozieren und unsägliches sagbar werden lassen. Sie treiben damit die etablierten Parteien vor sich her, die sich vermeintlich gezwungen sehen deren Vokabular aufzugreifen und unterstützend dadurch den überall wahrnehmbaren Ruck in extreme Gedankenwelten.
Wir müssen schleunigst damit aufhören den Extremen mit deren eigenem Vokabular Wähler abspenstig machen zu wollen! Wenn dazu auch noch dämliche Reporter noch dämlichere Fragen Stellen (z.B: Frau Weigel, wollen Sie Bundeskanzlerin werden?), werden Extreme mit Urgesteinen der Demokratie gleichgestellt. Das ist brandgefährlich und (sorry) dumm!
Wir müssen den Menschen viel mehr darstellen, was es bedeutet, unsere sozialen und demokratischen Errungenschaften, für die einmal Politiker, Gewerkschaftler und Bürger mit ihrem Blut gezahlt haben, gegen einfache Pseudolösungen für komplexe Probleme einzutauschen.
Da helfen keine Verbote, da muss überzeugt werden.

Hier versagt derzeit leider unsere Politik. Menschen werden in die Ecke der Unbelehrbaren gestellt, ihnen werden kaum nachvollziehbare Verhalten auferlegt. Schullehrerhaft werden Verhaltensmuster als schlecht gebrandmarkt.
Hier werden ldeologien hochgehalten und der gesellschaftliche und politische Konsens vernachlässigt. Parteiraison steht vor sachgerechtem Ergebnis. Manches vielleicht Gute ist alleine deshalb bereits schlecht, weil es vom politischen „Gegner“ kommt. Wobei oft vergessen wird, wer die wirklichen Gegner (der Demokratie) sind!

Ich hab einmal gedacht, dass eine Ampelregierung das Beste aus vielen Gedankenrichtungen hervorbringt. Leider kommt aber nur der kleinste gemeinsame Konsens dabei heraus.
Wir sind alle aufgerufen unserer demokratischen Aufgabe gerecht zu werden. Wählen gehen und der Zersplitterung der Parteienlandschaft Einhalt gebieten. Schon steht wieder eine neue Partei von Sarah Wagenknecht in den Startlöchern und wird auf bis zu 18% der Wählerstimmen geschätzt.

Wenn nur aber nur noch der Zusammenschluss aller gemäßigten Parteien die Extremen in Schach halten kann, werden beim ewigen Zwist um den Konsens gute Lösungen auf der Strecke bleiben und die extreme Opposition hat leichtes Spiel.
Der überhebliche Gedanke, dass unsere Demokratie so gefestigt ist, dass wir locker die Extremen mit Nichtachtung strafen können ist brandgefährlich. Derzeit versuchen die etablierten Parteien das Bundesverfassungsgericht vor dem Zugriff von Extremen zu schützen (siehe USA und Polen). Sie streben an, Änderungen der gesetzlichen Grundlagen des Bundesverfassungsgerichtes von einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag abhängig zu machen. So weit sind wir bereits!

In 2024 stehen Landtagswahlen und Europawahlen an. Was ist wohl, wenn die AfD in einem Landesparlament die stärkste Kraft wird, die Regierung stellt und diese dann nicht scheitert sondern zumindest in Teilen erfolgreiche Politik betreibt?
Dann werden bei den etablierten Parteien alle Hemmungen fallen die AfD zu kopieren.
Dann ist es zu spät!

Ein Menschen, der die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts erlebt hat, reibt sich verwundert die Augen, dass wir jetzt schon für die Regierung und die etablierten Parteien demonstrieren müssen und nicht gegen die Regierungsarbeit. Unglaublich!
Wir müssen aber jetzt und heute um die Demokratie kämpfen und verhindern, dass die Extremen Parteien zu groß werden.
Aber das geht nur, wenn wir noch vor den nächsten Wahlen deren Wähler abholen und wieder in die demokratische Gemeinschaft einbinden, wenn die Politiker vernünftige Wege aufzeigen um die Probleme anzugehen und hoffentlich zu lösen, wenn die etablierten Parteien zusammenarbeiten und sich nicht gegenseitig dogmatisch zerfleddern.
Darüber hinaus müssen Presse und Medien nicht nur Auflagenhöhen und Einschaltquoten feiern, sondern tatsächeliche politische Einordnungen vornehmen und die Demokratie als wertvollstes Gut hochhalten.
Mittelfristig muss die politische Bildung einen höheren Stellenwert erhalten und Ethik ein ordentliches Schulfach werden.
Darüber hinaus müssen wahrscheinlich noch ganz andere Dinge passieren. Hier müssen die hoch bezahlten Beraterstäbe mal ran und Politiker nach eingehender Debatte mit den anderen Parteien und Fachleuten mutige Entscheidungen treffen und dann auch mal dabei Bestandskraft haben.