Die Deutschen machen ihren Freunden Angst
(Leitartikel in der NZZ vom 04.02.2024)
Oder … wie man im befreundeten Ausland auf das unergründliche Deutsche Befinden blickt
Den Deutschen wird von außen betrachtet ein Hang zum Extremen nachgesagt. Schon Churchill bemerkte damals:
„Die Deutschen hat man entweder an der Gurgel oder an den Füßen!“
Vor 1945 verstanden sich die Deutschen als eine dem materialistischen Westen überlegene Kulturnation und stürzten sich anschließen in die Barbarei von Auschwitz, um sich danach als vom Grunde auf geläutert und wirtschaftlich überlegen darzustellen. Aktuell fällt es, nach Ansicht der Autoren, wieder mal schwer Maß und Mitte zu finden.
Himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt: Dieser manisch-depressive Zug sei den Deutschen zutiefst eigen.
Vor neun Jahren berauschten sich die Deutschen wieder einmal an ihrer moralischen Überlegenheit, als sie für alle Migranten die „Willkommenskultur“ ausriefen. Dabei musste jedem mit einigermaßen wachen Verstand klar sein, dass man eine ungeregelte Migration nicht ungestraft und beliebig lange vertreten und bezahlen kann. Niemand wollte in seinem „Gutmenschentum“ hören, dass diese Vorgehensweise dem Populismus und Rechtsextremen gewaltigen Auftrieb verleihen würde.
Und schon ist er wieder da der Deutsche Katzenjammer. Erwartungsgemäß hat jemand die Gunst der Stunde genutzt und reißt den Deutschen Michel mit zu rechtsextremen Ufern. Laut Umfragen ist die AfD aktuell in Ostdeutschland die stärkste und in Gesamtdeutschland die zweitstärkste Partei.
Sowenig die Deutschen damals die Massenmigration rational betrachten konnten, so wenig können sie jetzt mit den Folgewirkungen umgehen.
Da ist er wieder der manisch-depressive Zug. Die Deutschen bangen um den Fortbestand der Demokratie und gehen zu Hunderttausenden auf die Straße, weil die Machtergreifung der AfD scheinbar nur noch eine Frage Zeit ist und der Sieg der neuen Nationalsozialisten bevorsteht.
Der Autor ist der Meinung, dass der Deutsche sich nur nicht von seinen Ängsten treiben lassen müsste, den Extremen auch mal die unkontrollierte Selbstdarstellung in den Medien verweigern müsste und … der Popanz würde sich selber auf ein, zugegeben immer noch unerfreuliches, Normalmaß zurecht schrumpfen.
Der verstörte Teutone übersieht in seiner Aufregung, dass der Aufstieg der Extremen Rechten zwar starke innerdeutsche Hintergründe hat (unkontrollierte Migration, Missachtung von Parallelkulturen, mangelnde Integration, Arbeitsverbote usw.) es sich aber nicht um ein singuläres deutsches Problem handelt, sondern ein gesamteuropäisches. Aber nur die Deutschen demonstrieren, während andere Regierungen nicht manisch-depressiv aus der Wäsche schauen, sondern bereits aktiv sind.
Diese Länder waren sich der Schwäche des deutschen Handelns in der Migrationspolitik bewusst. Sie waren Realisten, die Deutschen hingegen … naiv!
Andere Länder sind sich darüber im Klaren, dass die zersetzende Kraft des Populismus zu gefährlich ist, als dass man sie der emotionalen Aufarbeitung überlassen dürfte. Zum Ziel führen demnach viel eher Geduld und eine zielführende Politik, wleche die Ursachen der Überfremdungsängste bekämpft. Andere Länder, wie Dänemark zeigen, dass konsequentes Regierungshandeln das Klima befrieden und auländerfeindliche Kräfte besser schwächt als unkontrolliertes „Gutmenschentum“ und realitätsfernes „wir helfen allen“, um dann in Panik über die Straßen zu laufen!
Aus Sicht unserer Freunde verfehlen wir mal wieder Maß und Mitte, was bedeutet: Den Deutschen fehlt es an einer ausgewogenen Kombination zwischen Härte und Humanität!
Statt dessen verspricht Kanzler Olaf Scholz unerfüllbare Fantastereien von „mehr und schneller abschieben“ und senkt andererseits die Anforderungen an eine Einbürgerung. Scholz darf sich demnach nicht wundern, wenn das Verramschen des deutschen Passes vorgeworfen wird. Obwohl eine stringente Migrationspolitik das Gebot der Stunde wäre, ergeht sich die Ampelregierung in selbstzerfleischenden Halbherzigkeiten und Widersprüchen.
Während dessen formiert sich der öffentliche Widerstand gegen die Deportationsfantasien der AfD, dem sich die Regierung selbstverständlich anschließen muss. Ganz nebenbei delegitimiert sie damit aber zugleich die eigenen Pläne illegale Migranten abzuschieben. Die politische Linke demonstriert folglich gegen sich selbst.
Zu allem Überdruss ist es fraglich, ob die politische und gesellschaftliche Einheitsfront die Extremen tatsächlich schwächt oder viel mehr ein „Jetzt erst recht!“ provoziert.
Seit dem 19. Jahrhundert irritiert das Auland an den Deutschen die dunkle Gefühligkeit, die sich urplötzlich in Stimmungsgewitter entlädt. Dann können die Vorschläge nicht radikal genug sein, um sich eines Problems zu entledigen. Man will eine Partei verbieten oder Politikern die Bürgerrechte entziehen. Wenig sei in der deutschen Geschichte so verhängnisvoll wie der ewige Wunsch Probleme „grundsätzlich“ zu lösen. Nur die Deutschen kennen die „Grundsatzrede“. Woanders wird um den rechten Weg in Rede und Widerrede gestritten.
In der Politik lassen sich Probleme meist nur um den Preis des Totalitären final regeln!
Gelassenheit ist offensichtlich keine Tugend der Deutschen!
Wer unsicher ist, braucht einen Gegner, um die eigene Identität zu definieren!
Hier wird die Meinung der Redaktion der Neuen Zürcher Zeitung wiedergegeben.
Wobei ich gestehen muss, dass mich beim Lesen des Artikels ein gewisses Unbehagen über die Wahrnehmung der deutschen Politik und des Deutschen an-und-für-sich im Ausland beschlichen hat und ich innerlich oft zustimmend nicken musste.
Die Parallelen zu anderen Bereichen wie Energiepolitik, Atomausstieg usw. drängen sich auf.
